Menschen trösten einander. Wenn der Vater eines Freundes im Sterben liegt, sagen wir ihm nicht, dass er sich damit abfinden muss, dass sein Vater bald Wurmfutter ist und er nie wieder seinen Rat einholen wird können. Wir erzählen Geschichten von Menschen die wundersam geheilt wurden, wir erzählen Geschichten von einem Leben nach dem Tod und davon, dass der Tod eine Erlösung ist. Wir trösten mit Worten und diese Worte sind nicht selten Lügen.
Menschen lügen und die häufigsten Lügen sind nicht egoistisch oder bösartig, sondern drehen sich darum Menschen nicht zu verletzen oder eben um sie zu beruhigen und zu trösten.
Menschen tröstende Geschichten zu erzählen, wurde recht früh zu einem Berufsfeld das wir heute als Religion bezeichnen. Der Priester tut im Grunde den ganzen Tag nichts anders als tröstende Geschichten zu erzählen und die heiligen Schriften sind ebenfalls voll mit solchen Geschichten die lehren, weisen, erklären und eben trösten sollen.
Trösten ist ein Teil von uns und grundsätzlich ist trösten gut, es hat nur eine massive Schattenseite.
Der Kabarettist Bernhard Ludwig witzelte dass man sich als Mann bei Frauen mit Lösungsvorschlägen recht schnell unbeliebt macht und forderte seine männlichen Zuhörer auf sich in ein Kaffeehaus zu setzen und, hinter einer Zeitung versteckt, eine Frauenrunde zu belauschen und postulierte dass die Damen dann zwei Stunden über Probleme reden würden und keinen einzigen Lösungsvorschlag machen würden, nur um sich am Ende zu versichern wie nett und toll das war um sich einen Termin für die kommende Woche auszumachen.
Ich würde hier, als jemand der solche Erfahrungen oft gemacht hat (und zwar nicht nur mit Frauenkreisen sondern auch mit Gruppen von Männern), anknüpfen dass die Betroffenen nicht Nichts machen. Was sie machen, ist sich gegenseitig beruhigende und tröstenden Fiktionen zu erzählen. Man spricht sich gegenseitig Mut zu und versucht dem anderen dabei zu helfen mit etwas klarzukommen. Was gut ist, wenn man keine Kontrolle und keinen Einfluss auf das Problem hat.
Aber was, wenn man einen Einfluss haben könnte?
Das Problem am Trösten ist, dass Trösten immer mit Akzeptanz einher geht. Problembehandlung hingegen ist das Gegenteil: man will etwas nicht akzeptieren, sondern ändern. Daraus folgt, dass man mit einer überzeugenden Tröstung sein Gegenüber dazu bringt einen Missstand nicht mehr selber ändern zu wollen und der schlimmste dieser tröstenden Sätze ist: „Mach dir keine Sorgen, wir kümmern uns darum“.
Der aufmerksame Leser wird hier die Verbindung zur Religion erkennen, denn der typische Satz des Priesters ist: „Mach dir keine Sorge, Gott kümmert sich darum“.
Religiöse Menschen unterschieden zwischen den Dingen, die in ihren Händen liegen und den Dingen, die in der Hand Gottes liegen.
Der politische Mensch unterscheidet zwischen den Dingen, die in seiner Hand liegen und der Hand der Politiker.
Der Mensch, der weder politisch noch religiös ist hingegen unterscheidet tendenziell eher zwischen Dingen die er beeinflussen kann und denen die er nicht beeinflussen kann.
Alle drei sehen Butterbrote gleich, aber Wirbelstürme grundverschieden.
Die Politik der tröstenden Worte lullt Menschen mit der Idee ein, dass sie machtlos sind, aber die Politik bündle Menschen in feste Bündel und diese festen Bündel können dann etwas erreichen. Der Einzelne muss nur seinen Wunsch aufgeben zu tun was er tun will und sich im Einklang mit dem restlichen Bündel, von den Politikern, führen lassen. Und der Satz der die Menschen dazu einlullt, ist „Die Welt ist voller fürchterlicher Probleme und die werden dich zerstören, aber wenn du dich uns ergibst, übernehmen wir all diese Probleme und wir lösen sie für dich.“
Und so entstehen politische Ideologien die sich „Bündel“ oder Religionen die sich „sich ergeben“ nennen usw. Der Schlüssel ist immer Menschen zu trösten und ihnen, wenn sie den Trost akzeptieren, die Motivation zu nehmen selbst etwas zu tun. Sie denken sie tun etwas, um die Welt zu verbessern, indem sie Beten und dem Priester einen feschen Tempel bauen, für die Partei demonstrieren gehen oder für „das höhere Wohl“ am Schlachtfeld zu sterben aber die simple Wahrheit ist, dass am Ende des Tages der Marionettenspieler lacht.
Der Priester, der Politiker, der Führer, der Vorsitzende hat ein lustiges Leben auf Kosten jener die sich von ihm haben "trösten" lassen.
Die Politik der tröstenden Worte ist die schönste, netteste und am hübschesten anzusehende Politik, oberflächlich betrachtet jedenfalls. Tatsächlich ist sie aber eine Sirene und wie das griechische Fabelwesen lockt sie mit süßen Worten und verschlingt dann ihre Opfer.
Die Politik der Pragmatiker hingegen ist wie der alte Handwerker in einem alten ausgebeleichten Blaumann: unansehnlich und oft unfreundlich, aber er bekommt das Problem, das man hat in den Griff. Es kostet was, es wird wieder auftreten und perfekt ist es auch nie ganz aber im Gegensatz zu den Tröstern, löst er das Problem und geht heim, anstatt ein Geschäftsmodell rund um die immerwährende Existenz des Problems zu konstruieren und bei einem einzuziehen und dann den Kühlschrank leer zu fressen, wie es die professionellen Tröster immer getan haben.