Eines der spannendsten Dinge im aktuellen Diskurs ist das sowohl die neue Rechte als auch die neue Linke scheinbar vor exakt dem gleichen Phänomen Angst hat: vor Nazis.
Hier kommt man leider nicht daran vorbei auszuholen:
Was sind denn diese Neuen Rechten und Linken und wie unterscheiden sie sich?
Die gröbste mögliche Unterscheidung wäre das Rechte in der Vergangenheit leben, Linke in der Zukunft und die Mitte im hier und jetzt.
Die Linke überlegt sich ein Utopia in dem alle Menschen glücklich sein können, plant einen Weg dort hin und analysiert was ihr im Weg steht. Meistens ist dies ein bestehendes stabiles System das es daher zu zerstören gilt um etwas Neues zu errichten.
Das klingt vor allem für die Jugend sehr erstrebenswert, erkennen sie doch all die Fehler der Alten.
Die Rechte hingegen will auf bewährte Muster zurückgreifen, ja kein Risiko, ja nichts allzu Gewagtes und besser keine wirklichen Änderungen. Früher war ja alles besser.
Das klingt vor allem für die Alten sehr erstrebenswert, erkennen sie doch dass die Jungen aufgrund ihrer fehlenden Erfahrung nur Wunschträumen nachjagen.
Und dann gibt es die Mitte die sieht, dass man das Rad nicht neu erfinden muss, es aber durchaus Sinn macht einen Motor statt einem Pferd vor den Karren zu spannen. Änderungen wo sie nutzen, beim Alten bleiben wo das Neue (noch) nicht besser ist. Pragmatisch, Logisch und recht langweilig, daher kaum publikumswirksam.
Was nun „links“ ist und was „rechts“ ist keine Konstante.
Die „Nationalisten“ galten als Links, jedenfalls so lange als es noch keine Nationen gab. Die Rechten waren zu dieser Zeit Anhänger der Monarchie und der Reiche. Als die Nationen realisiert und dann alt wurden, wurden die Nationalisten zu den Bewahrern des Status Quo und damit zu den Rechten.
Ein wesentlicher Teil der politischen Ideen mit denen wir uns herumschlagen müssen ist nun auch diesen Weg gegangen: was einst links/rechts war, ist es heute nicht mehr unbedingt.
Die alte Rechte in Mitteleuropa waren die klassischen Nazis. Sie verwiesen auf ein Geburtsrecht, hielten sich für die Übermenschen und pochen auf ihr Recht über den Rest zu stehen und herunter zu spucken.
Die alte Linke waren die Marxisten die darauf pochten dass sich die Arbeiterschaft über ihre Unterdrücker erheben würde und ein Weltreich des Friedens und der Gerechtigkeit errichten würden, wenn man sie nur lange genug ärgert.
Der klassische Marxismus ist seit dem zweiten Weltkrieg beerdigt. Der moderne Kapitalismus hat den Arbeitern mehr Reichtum gebracht als jedes andere System, die Arbeiter stehen daher hinter ihm und haben dem Marxismus entsagt.
Die Nazis gibt es noch immer, in vielen Schattierungen und kaum jemand nennt sich so.
Die Neue Linke stützt sich nicht mehr aus Marx sondern auf die Arbeiten einer Gruppe die wir als Frankfurter Schule kennen. (Nicht dass der klassische Linke wüsste was das ist.)
Diese Gruppe will immer noch ein Utopia erschaffen, hat aber erkennt dass die Arbeiter nicht ihre Soldaten sein werden, sondern ihr Feind. Die Neue Linke distanziert sich also von den ‚bildungsfernen Proleten‘ und erklärte kurzerhand dass die Arbeiter nicht die Diktatoren im neuen Utopia sein sollen, sondern brave Bürger die sich von einer wohlwollenden geistigen Elite beherrschen lassen sollen und in den Niederungen der Praxis arbeiten sollen.
Die Neue Rechte tut im Grunde noch immer das was die Rechte schon immer gemacht hat: sie will erhalten was sie hat. Nach 50 Jahren (alt-)linksgerichteter Politik klingen viele ihrer Forderungen nicht ganz zufällig sehr ähnlich wie die Parolen der klassischen Linken. Im Gegensatz zu den alten Rechten sieht sich der Neue Rechte zwar als Teil einer Tradition, Gruppe, Nation, etc, definiert sich aber nicht notwendigerweise als überlegen. Statt die Welt mit einer Ideologie zu beglücken, akzeptiert man die Unterschiedlichkeit der Welt, nach dem Motto „Macht was ihr wollt, und lasst uns machen was wir wollen“.
Es ist nicht nötig darauf hinzuweisen dass hier dann auch die Bruchlinie zwischen den alten und jungen Rechten verläuft.
Hier stolpern wir dann in die gewagte These dass diese beiden ‚Neuen‘ vor dem gleichen Angst haben.
Die Neue Rechte sieht in der Bewegung der Neuen Linken Ansätze des Faschismus, vor allem aufgrund ihres Wunsches Andersdenkende umzuerziehen und sie sieht, dass importierter Faschismus auch Faschismus ist.
Die Linke hingegen ist von der Idee überzeugt, dass nur jemand aus einem bösen Volk böse sein kann, dass es für manche Völker eine Art Erbschuld gibt die die Welt verdirbt und nur tilgbar ist indem man dieses Volk auslöscht. Eine Vermischung aller Völker, eine Vereinheitlichung des Menschen würde damit dem Rassenwahn der Nazis jeden Wind aus den Segeln nehmen und das Utopia zum Greifen nah machen, denn ohne Unterschiede gibt es ja auch keine Konflikte mehr, Gerechtigkeit wäre der Naturzustand. Das Festhalten an unterschiedlichen, unvereinbaren Identitäten ist für sie der Faschismus.
Ich vermute dass die Wahrheit aber einfacher ist: die beiden Flügeln haben panische Angst davor dass Menschen durch die Städte marschieren, von Haus zu Haus gehen und ihre Feinde abholen. Diese Angst halte ich auch für berechtigt, aber ich sehe eben in dieser Angst eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Die schwierige Aufgabe den Linken und Rechten ihre Angst zu nehmen fällt der pragmatischen Mitte zu, blöderweise ist die damit beschäftigt Wirtschaft und Gesellschaft am Laufen zu halten.