Jeder von uns hat eine gewisse Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber, aber wie groß ist dieses Soll?
Kürzlich hatte ich ein Gespräch, in dem mein Gegenüber meinte, dass sie ja keine zwei Kinder haben könnte, eines würde sie voll ausfüllen und mit einem hat sie ja „ihr Soll schon erfüllt“. Eine Dame daneben stimmte ihr inbrünstig zu.
Ein älteres Beispiel des gleichen Problems ist autobiographisch aus einer Zeit in der ich ein Onlinespiel spielte indem man manche Dinge nur in einer Gruppe von 40 Personen schaffen konnte. Eine Person in dieser Gruppe, die sich wöchentlich traf um gemeinsam zu spielen, war arbeitslos, obwohl er eine gute Ausbildung hatte.
Irgendwann sprach ich ihn darauf an und er meinte, dass er doch auch um 7 in der Früh aufsteht, 7 Tage die Woche das Spiel spielt um so gut zu sein dass er dann den 39 anderen mit seiner Figur helfen kann ihre Freizeit besser zu erleben. Er habe sein Soll erfüllt, denn er bereichert ja das Leben von 39 anderen und das sollte diesen 39 andren schon wert sein, dass sie jeweils ein 39igstel seiner Sozialhilfe zu zahlen.
Was uns zur Frage führt was dieses „Soll“ ist.
Die zwei wichtigsten Möglichkeiten, denn es gibt mehr, sind
a) Das Soll ist erfüllt, wenn man gibt was man kann (und nimmt was man braucht)
b) Das Soll ist erfüllt, wenn man genauso viel oder mehr zurückgibt, wie man entnimmt.
Wenn man sich etwa nicht fähig fühlt ein Kind aufzuziehen, dann hat man nach a) sein Soll dennoch erfüllt, nach Ansicht b) aber nicht. Was dazu führt dass jemand der kein Kind haben kann, sein Soll nicht erfüllen kann.
System a) ist einfach und wirkt menschlicher, weil es Versagen nicht als Versagen bezeichnet.
System b) hingegen kommt meistens mit einem Kleingedruckten in dem steht, dass man alles richtig machen kann, ein perfektes Spiel gespielt haben kann und dennoch ab und an verliert. An der Stelle kommt meisten Gott ins Spiel, Vorsehung oder Chaostheorie.
Für System a) haben sich Begriffe rund um „sozialistisch“ etabliert, System b) wird oft als „konservativ“ bezeichnet.
Aber bleiben wir bei " a) " und " b) ".
Meine Gesprächspartnerinnen im Gespräch rund um Kindern hingen System a) an, sie argumentierten mit was sie können, ich hingegen hänge System b) an und denke dass man im Bezug auf Kindern sein Soll erfüllt hat wenn man mehr als 2,1 Kinder und in weiterer Folge 4,2 Enkel hat, weil jede Zahl darunter mathematisch defizitär ist, vor allem in einer Epoche in der wir zwar im Schnitt jedes Jahr 3 Monate älter werden aber unsere Geburtenrate fällt, sprich das Wachstum durch immer mehr Alte realisiert wird.
Im Bezug auf meinen Spielfreund muss ich sagen, dass es mir kein Extrageld wert war, um zu besseren Resultaten zu kommen. Davon abgesehen war er Nicht einmal wirklich gut. Sprich ich sah sein Soll alle andere als erfüllt.
Der Punkt um den es aber geht ist, dass Menschen, wenn sie denken dass sie ihr Soll erfüllt haben, dazu tendieren vom Gas zu steigen, was dazu führt dass man sich seine Ziele entsprechend setzt. Wenn das Ziel ein „Einser“ auf einen Test ist, lernt man anders als wenns nur ums „Durchkommen“ geht.
Wenn wir unser Soll selber definieren können, setzen wir es gern niedrig an, vorwiegend weil es nichts Lästigeres im Leben gibt als sein Soll zu erfüllen und man es hinter sich bringen möchte.
System b) greift hier korrigierend ein und sagt „Nein, wir haben gesagt wir sammeln alle Beeren und wenn du drei Hand voll essen willst, dann hast du mit einer Himbeere dein Soll nicht erfüllt. Aber wenn du mehr bringst als du isst, dann bekommst du Extralob“,
wohingegen System a) sagt „Uj, schön, du hast eine Beere gebracht, gut gemacht und ihr da hinten hört auf zu tuscheln, er kann halt nicht mehr“, was historisch immer dazu führt, dass die Gruppe die System b) folgt mehr Beeren hat als jene die System a) folgt.
Ich denke, dass das eine der zentralen Fragen der modernen Moral ist. Das Problem an dieser Frage ist wie man mit Menschen umgeht die, obwohl sie tun was sie können, versagen und wie man sie von jenen unterschiedet die könnten aber nicht wollen, oder aber um die Frage ob man sie unterschieden kann, darf oder soll.
Was unser „Soll“ ist kann unterschiedlich beantwortet werden, aber solange jemand für unser Essen, unsere Kleidung und unser Dach über den Kopf arbeiten muss, ist sie relevant.
Und deswegen ist sie heute noch so relevant wie vor 5000 Jahren und muss beantwortet werden und auf genau dieses moralische Fundament, kann man dann eine Gesellschaft errichten und ob diese Gesellschaft viele oder wenige Beeren hat, ob wir dick sind oder verhungern, hängt mit dieser Antwort zusammen.
Entsprechend viel Zeit sollten wir also in diese Frage investieren und uns darüber klar sein welchen Nachteil wir lieber haben: Knappheit oder ein schlechtes Gewissen dass ein Teil der Leute die am Boden sind, nichts dafür können und wir ihnen selektiv aufhelfen müssen, anstatt ein System zu erschaffen dass jedem aufhilft, auch jenen die sich dann grinsend wieder fallen lassen und unsere soziale Ader (bewusst oder auch nicht) ausnutzen.