Kann man Menschen zu ihrem Glück zwingen?

Um zu verstehen warum man mit einer anderen Person einfach auf keinen grünen Zweig kommt, lohnt es sich auf die Fundamente herunterzugehen und zu verstehen dass die eigene Ideologie eben auf einem völlig anderen Fundament steht wie die des Gegenübers. Der Grund warum eine Person auf diesem Fundament seine restliche Welt aufgebaut hat ist dann eine eher persönliche Angelegenheit und in ihrer Natur vielfältig. Es gilt aber zu verstehen dass es immer einen Grund dafür gibt warum Menschen glauben was sie glauben.

Ein klassisches Beispiel ist der ewige Konflikt zwischen dem Säkularen und dem Religiösen. Das Fundament des Säkularen besteht in der Annahme dass die Welt nur den Naturgesetzen folgt aber nicht durch ein höheres Wesen verwaltet wird. Der Religiöse aber sieht das Wirken dieser übernatürlichen Kräfte überall. Daraus folgt dann eine unterschiedliche Herangehensweise an Gesetz. Für den Säkularen ist Gesetz, Kultur und gesellschaftlicher Konsens eben das was wir uns ausmachen. Das führt zu Gesellschaften die stets im Wandel sind.

Die westlichen Werte von heute haben etwa mit denen von vor 50 Jahren kaum mehr etwas gemeinsam.

Für den Religiösen zählen aber die Gesetze ihrer Gottheiten und diese sind ewig, was zu Gesellschaften führt die sich eben nicht ändern. Religiöse Kulturen empfinden seit Jahrhunderten die gleichen Dinge als gut oder schlecht. Menschen die gerne Konstanz in ihrem Leben haben werden also eher zum religiösen Ansatz tendieren. Das kann man verstehen, auch wenn man es absurd findet.

Im Bezug auf die Politik ist eine fundamentale Unterscheidung in der Frage zu finden ob man Menschen zu ihrem Glück zwingen darf. Es herrscht ein gewisser Konsens dass man Menschen nicht zu ihrem Nachteil zwingen sollte da das als unmoralisch verstanden wird.

Nötigung und Zwang zu verwenden um Menschen aber „vor sich selbst zu schützen“ ist eine gängige Argumentation in der Politik.

Das Problem hierbei ist die Unausweichlichkeit dieser Ansicht im Bezug auf Kinder. Lässt man kleine Kinder tun was sie tun möchten sinkt ihre Lebenserwartung drastisch. Kinder treffen mehrmals am Tag Entscheidungen die sie in ernste Gefahr bringen können. Es ist daher zu ihrem Wohl ihnen Dinge wie „spielen auf der Autobahn“ zu verbieten, auch wenn sie toben und protestieren.

"Es ist ja zu ihrem Besten".

Üblicherweise nimmt die Legitimität dieser Macht über das Kind mit dem Alter ab. Beginnt das Kind weitgehend fremdbestimmt, so betritt es dann das Erwachsenenalter weitgehend selbstbestimmt. In der Theorie jedenfalls.

Die Frage ist aber wie weit diese Selbstbestimmung gehen kann, soll oder darf. In einer Gruppe aus Jägern und Sammlern sind die Kinder so fremdbestimmt wie bei uns aber die Erwachsenen sind weitgehend völlig selbstbestimmt und nur grundlegenden Regeln unterworfen die ihre Handlungen limitieren. In autoritären Regimen wie etwa in Nord Korea hat man aber nicht einmal das Recht sich seine Frisur frei zu wählen: die Menschen sind vollständig fremdbestimmt und kontrolliert.

Das besonders Problem in dieser Sache ist dass die Lösung nicht in den Extremen zu finden sein kann. Wir brauchen gewisse Regeln um zusammenzuleben aber wer erstellt die Regeln?

Menschen? Die gleichen Wesen die es zu kontrollieren gilt? Wer darf nun wen kontrollieren?

Wenn Menschen „unter Kontrolle gehalten werden müssen“, wer hält dann die Führung unter Kontrolle? Wer entscheidet welche Regeln gelten müssen und wer entscheidet wer sich daran halten muss und wer nicht? Juvenal formulierte das im ersten Jahrhundert mit den Worten „Quis custodiet ipsos custodes?“ oder „Wer wacht über die Wächter?“.

Die Lösung liegt also auf einem Spektrum, führt aber immer wieder zu den gleichen fundamentalen Fragen zurück und eine davon ist ob man Menschen überhaupt zu ihrem Glück zwingen kann oder darf?

Diese Frage steht in einem engen Zusammenhang mit der Idee dass das Glück des einen das Unglück eines anderen ist. Ein klassisches Beispiel ist ein volles Lokal: für den Extrovertierten ein Paradies voller Interaktion, für den Introvertierten aber die Hölle voller Chaos und Geschrei.

Menschen sind unterschiedlich und wir alle mögen andere Dinge, aber das wollen die wenigsten realisieren. So finden sich also immer die Extrovertierten vor dem Introvertierten ein um ihn von seinen Büchern in ein Pub zu schleppen, es sei ja zu seinem Besten, er würde schon sehen. Der Extrovertierte versucht ihm etwas „Gutes“ zu tun, erreicht aber das Gegenteil.

Menschen sind eben unterschiedlich und des einen Glück ist des anderen Leid.

Unsere fundamentalen Unterscheidungen in unserer Weltsicht entstammen genau diesen unterschiedlichen Charaktereigenschaften und es gilt zu erkennen dass wir, mit dem festen Wunsch Gutes zu tun, Schaden anrichten können. Entsprechend müssen wir eine Welt schaffen in der jeder halbwegs so leben kann wie er möchte, eine Welt in der gleichgesinnte miteinander so sein können wie sie sind und andere nicht lädieren.

Der Schlüssel dazu ist aufzuhören anderen das eigene Paradies aufzwingen zu wollen und friedlich nebeneinander zu leben, selbst wenn die Lebensart des Gegenübers einem masochistisch, dumm oder absurd erscheint.

wirtschaftswoche wiwo.de

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