Wir sprechen von expliziten Menschenopfer wenn eine Person (oder Gruppe) zumindest einen Menschen tötet weil eine höhere Macht das so möchte und es im Hintergrund eine Gruppe gibt die das abnickt.

Der Unterschied zwischen einem geistig Gestörten der Menschen tötet, weil es ihm Stimmen befohlen haben und einem Gläubigen der seinem Gott ein Opfer erbringt ist also nicht mehr als die Existenz einer Gruppe die ihn dabei anfeuert.

Ist er alleine ist er ein Spinner, wird er angefeuert ist er ein heiliger Mann.

Ob das Opfer der eigenen Opferung zustimmt, ein Teil der Gruppe ist oder nicht, all das ist unerheblich. Wesentlich ist nur dass eine höhere Macht das Opfer fordert und Menschen diese Opferungen dann, unter Nicken der Zuschauer, durchführen. Kurioserweise holen sich die allmächtigen Götter ja die Opfer nicht selber, sondern es obliegt den Eltern ihre Kinder in den Vulkan zu stupsen.

Heute finden wir Menschenopfer eher archaisch. Die Idee dass Menschenopfer womöglich ein wenig zu viel des Guten wären ist nichts Neues. Rom verbat Menschenopfer bereits vor der Zeitenwende. Das Menschenopfer wurde zu einem Tieropfer abgewandelt.

Etwas kreativer waren Kulturen die das Menschenopfer zu einem symbolischen Akt machten. Wir sprechen von einem pars-pro-toto Opfer, hier opfert eine Person einen Teil des Körpers (nicht notwendigerweise seines eigen Körpers) um der Forderung nach menschlichem Blut nachzukommen.

Dazu gehören etwa Beschneidungen.

Auch das Ritual der Taufe kann als „beinahe Opferung“ verstanden werden. Nicht nur Götter fordern solche Opfer, in einigen Gruppen findet sich so eine Praxis, wie etwa bei einigen Yakuza Clans. Hier begehen Gruppenmitglieder noch heute regelmäßig einen kleinen Selbstmord (Yubitsume) indem sie sich Teile ihrer Finger abschneiden. Hierbei handelt es sich um eine (abgeschwächte) Variante des ritualen Selbstmordes (Seppuku). Der Akt besänftigt hierbei keinen Gott sondern die Gruppe.

Überall auf der Welt töteten Menschen um solche Entitäten milde zu stimmen. Heute tun wir das offiziell nicht mehr. Aber haben wir uns wirklich von der Praxis verabschiedet?

Wie wir gesehen haben: Nein. Nicht so richtig.

Pars-pro-toto Opferungen stehen noch immer an der Tagesordnung und werden explizit als Religionsfreiheit geschützt. Es handelt sich dabei aber per Definition um eine Form von Menschenopfer. Wir dulden also religiöse im Menschenopfer (engeren Sinne) bis heute.

Betrachtet man die Sache in einem abstrakteren Licht wird offensichtlich, dass das vor allem implizite Menschenopfer alles andere als verschwunden ist. Die Kamikaze Piloten etwa opferten ihr Leben für das japanische Kaiserreich, einer Entität die in etwa so real ist wie ein Gott.

Genau wie ein Gott hat ein Staat üblicherweise Menschen die „in seinem Interesse handeln“, seine tatsächliche Existenz nachzuweisen ist aber relativ aussichtslos. Der Staat ist wie ein Gott: er wirkt durch seine Anhänger und ohne Anhänger verschwindet er im Nebel der Zeit. Wie etwa das japanische Kaiserreich.

Die Existenz eines Rathauses ist dabei genauso wenig Beweis für den Staat wie eine Kirche ein Beweis für die Existenz Gott ist.

Zählt man also alle Morde die im Namen irgendwelcher höheren Mächte erfolgten, bewegt man sich rasend schnell auf Größenordnungen zu die einen schwindlich machen sollten. Von Hexenverbrennungen über die systematische Vernichtung von Menschen bis hin zum ganz alltäglichen Krieg in dem junge Menschen zu Millionen geopfert werden um „dem Staat ehre zu machen“.

Addiert man dann noch die Opfer die „wir bringen müssen“, Opfer die uns nicht direkt umbringen aber uns einen Teil unserer Leistungsfähigkeit und unseres Wohlstandes abverlangen, wird offensichtlich dass wir noch immer einen erheblichen Teil der Bevölkerung an Entitäten opfern, deren Existenz, vorsichtig ausgedrückt, nicht völlig gesichert ist.

Wir betreiben also, wie unsere Vorfahren, Menschenopfer.

Zugegeben: wir tun es subtiler als die Azteken, aber nichts desto trotz opfern wir noch immer Blut für Ideen, Ideale, Götzen, Götter, Nationen, Revolutionen und Organisationen und wie die Opfer unserer Vorfahren ist der Nutzen fragwürdig, die Kosten aber astronomisch.

Es bleibt die Frage ob wir uns jemals wirklich weiterentwickeln werden und eine Gesellschaft erdenken können in der es nicht mehr als legitim angesehen wird andere Menschen, in Teilen oder im Ganzen, zu opfern um die Welt zu verbessern, eine Welt in der wir an der Verbesserung arbeiten, anstatt uns zur Verbesserung hinzuopfern.

https://www.tagblatt.ch/leben/wie-die-panik-unserer-vorfahren-zum-menschenopfer-fuhrte-ld.1547909 tagblatt.ch

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Kai-Uwe Lensky

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Petra vom Frankenwald

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