Eine der beliebten Streitfragen in der Politik, zu allen Zeiten und überall, ist wer die Bösen sind. Wohlstand war schon immer ein Faktor in dieser Frage. Vor etwa 200 Jahren soll ein Rebellenführer aus Nazareth es mit den Worten „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ formuliert haben.
Die Idee besticht durch ihre Einfachheit. Ab einer gewissen Menge an Wohlstand ist man halt einfach Böse. Man kann sich die Gesellschaft also wie eine Pyramide vorstellen: oben die Bösen, unten die Guten.
Angus frei
Das ist ein bequemes Weltbild, vor allem wenn man wie Joshua nur in der Gegend herumläuft und predigt und nicht wirklich etwas Nützliches zur Gesellschaft beiträgt.
Die Idee die dieser Ansicht entgegensteht ist die Idee, dass es in absolut jeder gesellschaftlichen Schicht nützliche und parasitäre Elemente gibt. In anderen Worten: Es gibt Reiche die für die Gesellschaft gut sind, es gibt Reiche die für die Gesellschaft schädlich sind und das Gleiche gilt für die Armen. Wer gut und wer schlecht ist kann also nicht am Kontostand ermittelt werden und ist nicht offensichtlich, sondern man muss eben genauer hinschauen, vorwiegend auf die Quelle des Geldes. Wenn etwa Sohn eines amtierenden Kanzlers für das Designen eines Logos für einen staatlichen Konzern einige Millionen aus den Taschen des Steuerzahlers erhält, dann ist das etwas anderes als wenn er eine Firma hochzieht und Kunden zu ihm gehen die auch die Wahl gehabt hätten anderswo zu kaufen.
Die Welt stellt sich für Menschen die diese Ansicht teilen ebenso als Pyramide dar, aber mit einem nicht horizontalen Verlauf zwischen den Guten und den Bösen, sondern einem eher vertikalen.
Angus frei
Diese Ansicht ist deutlich unbequemer, weil man eben nicht einfach „alle Reichen“ in einen Topf werfen kann und man dramatisch zwischen jenen Reichen unterschieden muss die reich wurden, weil sie einen Mehrwert geschaffen haben und jenen die reich wurden ohne einen Wert geschaffen zu haben.
Die Ansicht dass der politische Zweipol Links-Rechts gleichbedeutend mit „Für oder gegen die Reichen“ stehen ist aus (klassisch) linker Sicht völlig verständlich weil das ihrer Weltsicht entspricht: die Grenze zwischen Gut und Böse ist für sie ja im Wesentlichen ein Wohlstandslevel.
Gegenstimmen sehen die Welt aber von Grund auf anders. Das inkludiert interessanterweise die Woke-Linke, für die Wohlstand nur ein Teil der Identitäts- und Intersektionalitätsgleichung ist.
Aus persönlicher Erfahrung ist eine Mischform der oben beschriebenen Ansicht in den Köpfen der Menschen besonders häufig: die Idee dass man um <ganz rauf zu kommen> eben über so viele Leichen gehen muss, dass „ganz oben“ wirklich nur Böse sitzen aber eben nicht alle Armen per se die Guten oder aber Opfer wären.
Angus frei
Was davon stimmt? Vermutlich ist die Wahrheit nochmal um ein Eckhaus komplizierter aber eventuell reicht es eben genau das zu verstehen: die Welt ist viel komplexer als unsere simplen Weltbilder.
Wenn man das versteht, wenn man in Betracht zieht dass das eigene Weltbild der Realität schlicht nicht gerecht wird, wird man eventuell etwas resistenter gegen Fanatismus und lässt sich weniger leicht zu pauschalen Verurteilung ganzer Gruppen hinreißen.
Und das wäre schon ein guter Anfang.