Satanistische Ikonographie im Jahre 2024

Wen schockiert heute noch ein Pentagramm mit den Spitzen nach oben? Keinen. In den 90igern sah das aber noch anders aus. Damals lauerte hinter jeder Ecke ein Satanist, man grub ganze Landstriche um auf der Suche nach satanistischen Folterkellern und jeder Nachbar wurde verdächtigt ein geheimer Satanist zu sein. Die Zeitungen waren voll mit Berichten über satanistische Zirkel und wenn dann wirklich mal ein Satanist jemanden umbrachte, dann hörten wir jedes Detail seines Lebens für Wochen.

Die moralische Panik rund um den Satanismus der 90iger wird heute nicht mehr nur belächelt, sondern hat dazu geführt dass wir die, durchaus sehr reale Angst der Menschen, heute ins lächerliche ziehen. Exemplarisch würde ich das Logo der Band „HIM“ (eine Mischung aus Herz und verkehrtem Pentagramm) heranziehen, um zu vermitteln wie wir heute Satanismus sehen: als eine Ausgeburt der Vorstellung gelangweilter Hausfrauen, die durch die Medien aufgeputscht und vermarktet wurde. Die echten Satanisten waren damals unheimlich selten. Anton LaVey hatte Anhänger aber seine Lehren waren nicht wilder als die anderer Religionen. Aleister Crowley, der gern in dem Atemzug erwähnt wird, ist nicht einmal wirklich ein Satanist und dann wird’s auch rasch wirklich eng mit den „echten Satanisten“.

Wenn der Mob aber auf Blut aus ist und niemanden findet der ein echter Satanist ist, muss eben alles andere her, also prügelte man auf die Neopaganisten bis hin zu den Zeugen Jehovas, die man ebenfalls versuchte irgendwie in Satanistenkiste zu stopfen.

Sprich die Reaktion auf den Satanismus war vermutlich eine Trillion mal stärker als die Aktion des Satanismus was nicht dazu führte dass der Satanismus pulverisiert wurde sondern, aufgrund der Überreaktion, heute als "eh völlig harmlos" gesehen wird und seine Ikonographie als schick verstanden wird, weil es einen Widerstand gegen den Aufschrei der dauerempörten Hausfrauen verstanden wird (ie: die Spießer).

Der Mano cornuta ist heute nichts mehr das irgendjemanden schockiert.

HIM https://www.deviantart.com/mrlestat450/art/him-logo-the-heartagram-161355197

Das Problem dahinter ist aber zweierlei: zum einen ist der Satanismus nicht wirklich harmlos, vor allem dann nicht, wenn jemand mit viel Charisma beginnt der Mythologie und Ikonographie zu bedienen und naive Menschen damit beeinfluss für ihn Dinge zu tun, Case and Point: Charles Manson und seine Manson Family, die einen recht blutigen Fußabdruck in der Geschichte hinterließen.

Und das ist das kleinere Problem.

Das größere Problem ist, dass wir aktuell wieder in einer moralischen Panik sind. Im Moment lauert, glaubt man den Medien, die uns sagten, dass in jedem Keller ein Satanist lauert, in jedem Keller ein Nazi. Das Problem an der Sache ist, dass der Vorwurf ein Nazi zu sein Menschen vor 20 Jahren auf die Knie brachte und wir jetzt den Punkt erreicht haben an dem der Vorwurf zu Achselzucken führt, weil man den Vorwurf schon ertragen muss wenn man rechts von Mao steht.

Ist die Vergangenheit ein Anhaltspunkt für die Zukunft ist zu befürchten, dass mit der Naziikonographie in den kommenden 30 Jahren etwas Ähnliche passieren könnte wie mit der satanistischen Ikonographie in den letzten 30 Jahren: es wird als verniedlichte Form ein Teil der Kultur.

Das führt bei mir im ersten Moment zu gruseliger Gänsehaut. Auf der anderen Seite muss ich mir eingestehen, dass ich langsam alt werde und der zweite Weltkrieg für die Jungen anders wirkt als auf uns. Ich kann mich erinnern, dass mein Großvater davon erzählt hat, dass sein Baumhaus im Krieg beschossen wurde, die Geschichten meiner Großmutter wie das Geschäft, in dem sie lernte, arisiert wurde und der Besitzer, den sie sehr mochte, vertrieben wurde und durch einen Deutschen ersetzt wurde, den sie nicht mochte. Die Geschichten der Leute im Altersheim die ich mir Stundenlang anhörte, über Angst, Unsicherheit, Hoffnung, Täuschung, gebrochene Versprechen, Verzweiflung und Scham.

Ich habe Menschen erlebt, für die diese Zeit eine Bedeutung hatten, für die Jungen ist Hitler aber gefühlt so weit weg wie Dschingis Khan. Hat die Standarte des napoleonischen Frankreichs in ihrer Zeit Angst, Hass und Verachtung ausgelöst, kann man sie heute mit sich herumschleppen und niemand wird darauf reagieren. Weil sie Geschichte ist und alle die Erfahrungen mit dem Ding hatten schlicht tot sind.

Und genauso reagiert kaum mehr jemand auf satanistische Ikonographie.

Wenn die Bevölkerung überreagiert und die Jungen erkennen, dass die Alten tatsächlich aus einer Mücke einen Elefanten gemacht haben (den wirkliche Anhänger einer vor bald einem Jahrhundert besiegten Ideologie findet man eben so selten wie Satanisten in den 90igern), beginnt die Jugend die Ikonographie als Provokation zu benutzen und diese Provokation wird zur Mode, stilisiert, verniedlicht und etabliert sich schließlich als normal, oftmals unter vollständiger Auflösung mit ihren historischen Wurzeln.

Kein 16 Jähriger der ein gehörntes Pentagramm auf seinem T-Shirt trägt hat LaVey gelesen oder hat einen echten Bezug zu Satanismus. Er trägt es nur weil die Oma die Nase rümpft.

Ist das zu verhindern? Keine Ahnung.

Ich persönlich fühle mich verflixt alt, wenn ich über diese Dinge nachdenke und sehe mich in 25 Jahren junge Leute anmotzen die SS Mäntel tragen, die sich dann fragen was der alte Depp nur hat.

Am Ende des Tages normalisieren moralische Paniken genau die Dinge, die sie versuchen auszurotten und eventuell ist das wie Gesellschaften Themen hinter sich lassen.

Was bleibt ist eben ein mulmiges Gefühl und die Frage ob das der Grund ist, ob genau dieser Mechanismus der Grund ist warum wir aus der Geschichte nichts lernen sondern so viele von uns die Geschichtebücher behandeln wie Fantasyromane, anstatt als Wegweiser in die Zukunft.

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Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 09.12.2024 20:53:52

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