Urteilen oder Wahrnehmen: wie wir zu unseren Weltbildern kommen

Wenn Menschen leidenschaftlich Debattieren dann tun sie das üblicherweise aus einem von zwei Gründen: sie wollen die Debatte gewinnen oder aber sie suchen nach der Wahrheit.

Das tun Menschen aber nicht weil sie es tun wollen sondern weil es Teil ihrer Persönlichkeit ist.

Was Persönlichkeiten so unterschiedlich macht ist schon lange Gegenstand von Debatten. Carl Jung etwa erkannte als Pionier der Psychoanalyse dass ein Ratschlag für einen Patienten ein Problem lösen kann und bei einem anderen Patienten nicht. Der eine leidet darunter alleine zu sein, der andere braucht diese Zeit alleine um sich von den Menschen zu erholen.

Jung erkannte, dass Menschen unterschiedlich sind aber sich in grobe Gruppen einreihen lassen, wie etwa in Extrovertierte (Menschen die Energie aus sozialen Kontakten ziehen) und Introvertierte (Menschen denen Sozialkontakte Energie kostet).

Katharine Cook Briggs und Isabel Briggs Myers entwickelten ein System das sich grob an Jung anlehnte. Ihr System ist grob aber oftmals absolut ausreichend. Eine ihrer Unterscheidungen ist wie flexibel das Weltbild der Person ist. Sie unterschieden hierbei zwischen „Judging und Perceiving“. Also jenen die Urteilen und jenen die Wahrnehmen.

Die „Wahrnehmer“ beobachten die Welt und passen ihr Weltbild an die Beobachtung an.

Die „Urteiler“, auf der anderen Seite, haben ein Weltbild und weichen davon nicht ab.

Wenn etwa beide in dem Glauben erzogen wurden dass die Welt flach ist werden sie das gleiche Weltbild haben. Die Welt ist eben flach für sie.

Werden sie nun mit Fakten konfrontiert die das relativieren werden sie nicht auf die gleiche Art und Weise reagieren.

Der Wahrnehmer wird sich diese Fakten ansehen und bewerten. Er mag noch immer zu dem Schluss kommen dass die Welt flach ist, aber er zieht es, unterbewusst, in Betracht dass dem nicht so ist. Haben wir es zudem mit einem neugierigen Exemplar zu tun wird er recherchieren und irgendwann zu dem Schluss kommen dass es viel mehr Gründe gibt zu glauben dass die Welt rund ist. Entsprechend wird er sein Weltbild anpassen und dann nicht mehr glauben dass die Welt flach ist.

Der Urteiler hingegen hat ein Weltbild und wird davon nicht abweichen. Sehr häufig ist dieses Weltbild dem seiner relevanten Umgebung (Freunde, Familie, Mainstreamkultur) ähnlich. Er hat gelernt dass die Welt flach ist, er hat es akzeptiert.

Basta.

Ist so.

Argumente nützen nicht viel.

Erst wenn die Gruppe ihre Meinung ändert, neigt der Urteiler dazu seine Meinung mitzuändern.

Wenn man mit einem Urteiler debattiert kommen oftmals Entgegnungen aus der Kategorie „Das kann ich nicht glauben“ „Das will ich nicht glauben“ „Das will ich gar nicht hören“ „Das kann gar nicht sein“ „Ketzer“ und das alt Bekannte „Du verstehst das einfach nicht“.

Wesentlich zu verstehen ist aber dass diese Eigenheit nicht per se schlecht ist, genauso wie der Introvertierte nicht „geheilt“ werden muss (Auch wenn Extrovierte das gern glauben).

Er ist so wie er ist und das ist auch gut so. Gäbe es keine Urteiler wäre alles ständig im Fluss. Urteiler bauen Konstanten in der Gesellschaft auf, sie erzeugen eine durchaus nützlich Trägheit. Sie können aber eben nicht mit der Zeit gehen und sich nicht auf Erkenntnisse einlassen die im Kontrast zu ihrem Weltbild stehen.

Es gilt diese Charaktereigenschaft nicht mit der Idee des Konservativen zu verwechseln. Urteiler können ohne weiters Weltbilder haben die "progressiv" sind.

Der Wahrnehmer auf der anderen Seite kann zwar neue Informationen umsetzen und in sein Leben integrieren, kann aber im Extremfall beeinflussbar sein und jeden Tage ein völlig neues Weltbild haben. Dennoch: er ist derjenige der die Grundlage für Weltbilder baut die dann von Urteilern, später, übernommen und beschützt werden. Der Wahrnehmer muss, spiegelbildlich zum Urteiler, aber nicht umbedingt "neuen Ideen" anhängen sondern kann ohne weiteres zum Schluss kommen dass alste Ideale die bessere Lösung darstellen.

Der Unterschied liegt also nur darin "wie" man zu seinem Weltbild kommt und "ob" man es bereit ist zu verändern.

Der real existierende Mensch liegt zwischen diesen Extremen, neigt aber üblicherweise in eine der Richtungen.

Natürlich gibt es Möglichkeiten sich austesten zu lassen, grob kann man aber davon ausgehen dass man ein Urteiler ist wenn man sich fragt warum diese Dummköpfe da drüben Dinge in Frage stellen die kein vernünftiger Mensch jemals in Frage stellen würde.

Man kann umgekehrt vermuten dass man ein Wahrnehmer ist wenn man sich fragt warum Menschen an Dinge glauben die man ihnen mit einfacher Logik und ein paar Statistiken wiederlegen kann. Kennt man beide Gefühle, ist man wohl irgendwo in der Mitte und hatte es eben mit Menschen zu tun wie etwas weiter an den Extremen angesiedelt sind.

Obgleich der Begriff „Urteiler“ schlechter klingt als der „Wahrnehmer“ muss nochmal darauf hingewiesen werden dass Wahrnehmer nicht bessere Menschen als Urteiler sind.

Hier manifestiert sich einfach eine der vielen Unterschiedlichkeiten die in uns stecken. Aus diesem Unterschied entsteht eine Dynamik die nützlich für die Gesellschaft ist: die Wahrnehmer verändern und Urteiler bremsen sie aus und verhindern damit revolutionäre Katastrophen.

Wir brauchen beide Seiten und es wäre wichtig wenn beide Seiten das anerkennen könnten.

https://www.pinterest.co.kr/pin/401313016789822308/ https://www.pinterest.co.kr/pin/401313016789822308/

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 23.02.2021 18:32:44

14 Kommentare

Mehr von Angus