Praktisch jede Gesellschaft beschränkt das, was in ihr gesagt werden darf. Das hat oftmals gute Gründe, führt aber immer zu dem exakt gleichen Problem, das existenzbedrohende Auswirkungen haben kann.

Die Binsenweisheit in dem Zusammenhang ist, dass man lernt, wer über einen herrscht, wenn man überprüft, wem man nicht kritisieren darf. Diese Aussage ist grundsätzlich richtig, geht aber nicht weit genug. Tatsächlich erkennt man, was der Gesellschaft heilig ist, wenn man überprüft, was nicht kritisiert werden kann.

Die geschickten Menschen, die sich dann in diesen Windschatten stellen und damit unantastbar werden, können dann einen erheblichen Teil der Macht an sich ziehen und beginnen, direkt oder indirekt zu herrschen. Die Herrschaftskomponente ist aber eine Konsequenz, nicht der Ursprung des Problems.

Der Ursprung des Problems ist, dass Gesellschaften gewisse Dinge als unantastbar sehen.

Diese Dinge dann, die man nicht kritisieren darf, haben eine gewisse Neigung über das vernünftige hinwegzuschießen. Die Religion ist hier ein Klassiker: wenn man Gott nicht kritisieren darf, dann darf man den Priester nicht kritisieren und dann kann der Priester beginnen, Dinge zu tun, die wir keinem anderen durchgehen lassen würden.

Das geht so lange gut bis die Priester den Bogen derart überspannen, dass die Heiligkeit Gottes selber in Zweifel gezogen wird, was dazu führt, dass der Windschatten kleiner wird und die Bevölkerung dann tut was sie schon lange tun möchte: faulige Tomaten auf die Priester werfen.

Genau das ist mit dem Christentum im vergangenen Jahrhundert in der westlichen Welt passiert, das Problem ist, dass wir andere Dinge auf das Podest gestellt haben auf dem vorher Gott stand. Ein klassisches Beispiel ist das Menschenrecht (universal declaration of human rights). Die Menschenrechte begannen mit Freiheit, Recht auf Leben und Gleichheit vor dem Recht. Das sind Rechte die sehr einfach herzuleiten sind und in keinsterweise die Rechte anderer beeinflusst.

Die Menschenrechte sind heilig und können nicht kritisiert werden, andernfalls macht man sich zum Ketzer. Auch nicht die später hinzugefügten Artikel wie etwa 26 der deklariert, dass Bildung gratis zu sein hat, auch wenn das bedeutet, dass diese Ressourcen eben irgendwo herkommen müssen und das im Widerspruch zu Artikel 17 und, wenn man es sehr eng auslegt, zu Artikel 4 steht.

Es ist in unserer Gesellschaft nicht nötig auf diese Punkte sachlich einzugehen, es reicht empört zu schauen und zu sagen „Du bist gegen die Menschenrechte? Was bist du denn für einer?!“.

Die Menschenrechte sind heilig und ihre Vertreter stehen im Windschatten dieser Heiligkeit und können munter Dinge deklarieren, die eben nach und nach absurder werden bis der Bogen überspannt ist und wir die Heiligkeit verwerfen und dann das Kind mit dem Badwasser in den Abfluss werfen und die nächste Sache zu heiligen Konzepten erheben.

Eine Möglichkeit diesen Teufelskreis zu durchbrechen ist zu garantieren, dass jeder jede Idee kritieren darf und jeder jede Wahrheit in Zweifel ziehen dürfe. Also das, was in Artikel 19 der Menschenrechte abgebildet wäre, aber das nur am Rande.

Es gilt dabei zu verstehen, dass Kritik nicht mit Ablehnung gleichzusetzen ist. Menschen, die etwas kritisieren haben üblicherweise Verbesserung im Sinn, nicht plumpe Zerstörungswut. Wenn Kritik laut wird dann fast immer weil der Bogen beginnt zu knarzen, aber wenn man Kritik nicht zulässt hört man das Knarzen nicht und ist überrascht wenn der Bogen plötzlich mit einem lauten Krachen bricht.

Meinungsfreiheit ist wichtig um zu verstehen was gerade schief läuft und die Meinung die geschützt werden muss ist das was die breite Bevölkerung als dumm, pervers oder absurd betrachtet.

Das vermeintlich Falsche braucht Schutz vor dem selbstgerechten Mob und gleichzeitig braucht es klare, offene und ernste Kritik gegenüber dem Falschen, Perversen und Absurden, denn 98 von 100 dieser Ansichten sind so Banane wie sie klingen und zu Recht am Rande der Gesellschaft.

Dinge die wirklich falsch sind brauchen keine Verbote oder Unterdrückung sondern Begründungen warum sie falsch sind. Das Einzige das von je her verboten und stigmatisiert wurde sind hingegen Wahrheiten die für einige wenige Mächte unbequem waren. Und das sollte uns etwas lehren.

Benjamin Davies/pixabay https://unsplash.com/de/fotos/mann-auf-rasen-schaut-in-den-himmel-JrZ1yE1PjQ0

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