Longtermism ist eine philosophische Schule, die auf der Idee basiert, dass wir eine Verantwortung den nachfolgenden Generationen haben. Sie entstammt von der „Effektiven Altruismusbewegung“, die vor allem in den 2010ern erheblichen Zulauf hatte.
Altruismus bildet in beiden Fällen die Grundlage. Die Idee des Altruismus ist, dass eigene Opfer nicht nur rechtfertigbar, sondern notwendig seien, um anderen zu helfen, vor allem, wenn das Opfer für einen selber nicht lebensbedrohlich ist, aber dem anderen das Leben rettet oder es deutlich verbessert. Aus dieser Idee entstammen die Slogans wie „Ein Leben in Afrika retten für die Kosten einer Wurstsemmel“ und der Gleichen.
Vor allem in der Wirtschaftselite fand diese Idee erhebliche Zustimmung und veränderte das Spendenverhalten der Reichen und Superreichen, weg von lokaler Hilfe, hin zu globaler Hilfe.
Diese Philosophie entwickelte sich auf ihrer eigenen Logik basierend. Die Überlegung der Longtermists besagt, dass die Welt, wenn wir uns nicht ausrotten, noch Trilliarden von Menschen beheimaten wird, schaffen wir es zu den Sternen, wären es unzählige Fantastellionen Menschen, die alle niemals leben würden, wenn wir uns jetzt ausrotten.
Das Überleben der Menschheit zu sichern, wurde plötzlich priorisiert.
Die Spenden bewegten sich also weg von der globalen Hilfe (Dörfer in Afrika) hin zu wieder westlichen Institutionen, die sich damit beschäftigten, die Zukunft zu retten.
Schlüssel zu dieser Ideologie ist der Wert eines Menschenlebens. Vergleicht man den Wert dieser Menschen [die in der Zukunft leben werden] mit der winzigen Menge an Menschen [die heute leben] und rechnet jedem den gleichen Wert zu (ein Mensch heute sei so viel Wert wie einer der erst in 1 Million Jahren leben wird) hat das Leben im Hier und Jetzt eben keinen echten kumulativen Wert, weil wir vergleichsweise so wenige sind.
Wenn man etwa 1 Milliarde Menschen jetzt töten müsste, um die Chance unseres Aussterbens um 0,1% zu reduzieren, dann würde das noch immer, rein statistisch betrachtet, deutlich mehr als 1 Milliarde in der Zukunft retten und wäre daher rechtfertigbar. Menschen, die die Macht haben, solche Entscheidungen zu treffen haben nicht nur die moralische Legitimation entsprechend zu handeln, sondern geradezu die Pflicht, es zu tun. 10 Städte zu überfluten, um einen Staustaudamm zu bauen, wird von einer Tragödie zu einer Heldentat.
Praktisch jeder, der sich mit unserer Geschichte auseinandergesetzt, hat erkennt das Problem, das entsteht, wenn eine Elite beginnt, Menschen unter sich Werte zuzurechnen und sich das Recht herausnimmt, über deren Leben, Sterben und Leid zu entscheiden, alles in Abhängigkeit eines höheren Wohls, das sie(!) definiert.
Und genau in der Definition liegt das zentrale Problem.
Musk ist Anhänger dieser Ideologie, sieht aber die Lösung in der Idee, dass das Aussterben der Menschen unwahrscheinlicher wird, wenn wir mehr Orte als nur die Erde bevölkern. Wenn ein Planet sich in einem Krieg sprengt, ist das nicht so tragisch, wenn es noch tausend andere gibt. Diese Logik besagt auch, dass es kein Problem wäre, die Erde vollständig zu zerstören, wenn das Resultat die Bevölkerung des Kosmos wäre, die Kosten (die Erde) wäre vergleichsweise gering zu den Millionen von Planeten, die wir in den kommenden Jahrmillionen besiedeln werden. Die Erde muss nur eben sterben, nachdem wir einen Fuß im Weltall haben.
Am anderen Ende des Spektrums steht die Idee der absoluten Nachhaltigkeit, die besagt, dass wir keine unwiederbringlichen Ressource nutzen dürfen, weil künftige Generationen sie besser einsetzen könnten. Die sie dann auch nicht nutzen dürfen, usw.
Zwischen diesen Extremen tummeln sich tausende andere Zielsetzungen, die sich alle irgendwie widersprechen.
Wie alle anderen altruistischen Philosophien auch klingen diese Dinge recht clever, bis man zu lange darüber nachdenkt. Wenn wir zum klassischen Altruismus zurückgehen und postulieren, dass wir so lange helfen müssen bis es für uns selber genauso schlecht wird wie es für den Geholfenen ist nachdem wir ihm geholfen haben führt das fast unweigerlich dazu dass unsere Fähigkeit zu helfen leidet und wir irgendwann eben nicht nur den anderen nicht mehr helfen können sondern selber hilfsbedürftig werden, weil wir keine Reserven mehr haben uns selber in einer Notsituation zu helfen, was die Situation für alle schlechter macht, wahrscheinlich sogar gegenüber dem Zustand in dem wir nicht geholfen haben.
Longtermism hat das zusätzliche Problem, dass es von Zahlen ausgeht, die nicht wissenschaftlich fundiert sind. Wir wissen nicht, wie viele Menschen noch leben werden oder ob sich die Menschheit in einer Million Jahre überhaupt noch als Menschheit sieht und wie viel Verantwortung wir unseren nichtmenschlichen Nachfahren haben.
Wem das noch nicht kompliziert genug ist, nimmt künstliche Intelligenzen als einen Teil dieser nichtmenschlichen Nachfahren an und wer dann noch mehr Spaß haben möchte, nimmt an, dass ein Teil unserer Nachfahren [Menschen bleiben] (also eine konservative Bewegung), andere Teile aber nicht und diese dann einen Konflikt vom Zaun brechen, was die Frage aufwirft, wie viel Wert man dann „den Feinden der Menschen“ gibt, selbst wenn sie unsere Nachfahren sind.
In anderen Worten: Diese philosophische Schule definiert sich über ihre eigene inhärente Ahnungslosigkeit. Wir wissen nicht wie die Zukunft sein wird und Menschenleben im Hier und Jetzt zu opfern, um ausgedachte Menschen in der Zukunft zu retten, ist exakt der gleiche Unsinn wie Menschen am Scheiterhaufen zu verbrennen, um ihre unsterbliche Seele zu retten: beides basiert auf der Idee, dass das Leben im Hier und Jetzt weniger Wert hat als irgendein ausgedachtes Ideal das völlig unbelegbar ist, sei das das Leben nach dem Tod oder eine Kolonie auf der paradiesischen Welt von Risa.
Wenn philosophische Ansichten das Weltbild zu dominieren beginnen, fangen sie an, faktisch Religionen zu werden und Religionen haben die unangenehme Eigenschaft, das Leben geringer zu schätzen als ihre eigenen unfundierten Wahnvorstellungen.
Und das hat die Welt noch nie verbessert.
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