Das Fundament aller Gleichheitsideologien ist die Idee, dass wir alle gleich geboren sind, wir alle die gleichen Potentiale haben und wir nur deswegen zu unterschiedlichen Ausgängen kommen, weil die Gesellschaft Menschen unterschiedlich behandelt, Stichwort Rassismus, Sexismus und so weiter. Würden alle gleichbehandelt werden, wären wir alle gleich, die Gesellschaft sei schuld an Armut und Reichtum.
Klingt gut. Scheitert am blind geborenen, aber das soll uns heute nicht kümmern. Nehmen wir mal an es würde stimmen, denn dann stolpern wir ins nächste, durchaus interessante, Problem.
Das Problem ist die Frage „wie wir wären, wenn wir alle gleich wären?“
Die klassische marxistische Ansicht ist, dass wir alle Arbeiter und Bauern wären. Arbeiter und Bauern unterschieden sich etwa von der Elite in einem sehr pragmatischen Weltbild, wohingegen die Elite eher schöngeistige Ansichten vertritt.
Der Arbeiter löst etwa das Problem, der Intellektuelle hinterfragt das Problem, der Adelige delegiert das Problem und Versager ignoriert das Problem. Probleme kann man also unterschiedlich behandeln, wenn wir aber alle gleich sind, würden wir alle das Problem gleichbehandeln, weil ein Weg korrekt ist und alle andren nicht. Aber wie?
Das große marxistische Experiment im Osten versuchte eben genau das: alle Probleme wurden aus den Augen des Arbeiters betrachtet und entsprechend versucht zu lösen: pragmatisch, ohne viel Innovation und Hinterfragen. Das hat nicht so gut geklappt.
Marx war aber nicht der einzige sozialistische Denker. Die 1818 gegründete „Union für Wohlstand“ (Союз благоденствия), deren Existenz in der fehlgeschlagenen Dezemberrevolution 1825 gipfelte, propagierte, unter anderem, Ideen von Gleichheit, positionierte aber die Elite als das Ideal.
Alle sollten gleich sein, aber alle sollten ihr Potential voll ausschöpfen und da ja alle gleich wären könnte jeder ein Intellektueller und Anführer sein, was es möglich machen würde das jeder sich selber führt. Diese Ansichten waren selbst in der Bewegung umstritten, Pavel Pestels Ziele waren pragmatischer und weniger ideologisch untermalt.
Die erfolgreiche Oktoberrevolution aber stilisierte die, eher bedeutungslose Dezemberrevolution, zu einer politischen Frage herauf und sah in ihrem Scheitern eine Bestätigung darin, dass der Arbeiter dem Adeligen überlegen war.
Heute hat sich die Sichtweise geändert und die 200 Jahre alte Idee, dass wir im Grunde alle Adelige, Schöngeister und Künstler sein sollten ist wieder schwer in Mode. Vor allem Künstler, Schauspieler und so weiter vertreten solche Ansichten, oftmals ohne diese Ansicht wirklich zu verstehen.
Die entsprechenden Slogans drehen sich um „Selbstverwirklichung“ und „Erfüllung“ und laufen auf die, naiv überhebliche, Ansicht heraus, dass es Menschen gibt die ihre Erfüllung darin finden um 4 Uhr in der Früh ihre Brote zu backen, Erz aus der Mine zu schlagen oder ihre Klos zu putzen.
Für alle Jobs gäbe es genügend Menschen die diese Jobs gerne tun möchten.
Sie selber wären in diesen Gesellschaften natürlich Gelehrte für sozialistische Theorie, Künstler, Psychiater oder Herrscher. Was eben grad Spaß macht.
Marx selber beschreibt das mit den Worten:
„die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe“ In seinem Buch „Thesen über Feuerbach“.
Das Problem hierbei ist vielschichtig. Zum einen erkennt es nicht, dass es zu wenig oder zu viel Brot gibt, je nachdem wie sehr die Menschen Lust darauf haben Brot zu machen und zum anderen dass jemand der morgens Jagd, mittags fischt und abends Viehzucht betreibt in keinem der Dinge gut sein wird.
Manche Jobs benötigen nicht nur Konzentration, sondern Jahre des Trainings und Ausbildung.
In anderen Worten: es klingt nett, ist aber komplett praxisfremd, wenn man jenseits der Steinzeit leben möchte.
Mit der Verschiebung der sozialistischen Bewegung, weg vom Arbeiterstammtisch und hinaus in den Elfenbeinturm, war es aber im Grunde völlig absehbar dass die Arbeiter als der Feind gesehen werden und die Elite zum Ideal hochstilisiert wurde.
Der sozialistische Mainstream ist heute eher dezembristisch orientiert und verachtet den Proletarier so wie damals die Oktobristen die Bourgeoisie. Aus dem gleichen Grund: die andren sind falsch, die eigene Klasse ist das Wahre, Richtige und einzige nötige.
Versteht man diesen Wandel im sozialistischen Mainstream, wird klar warum linke Bewegungen heute sagen und tun was sie tun. Das Ziel der rezenten linken Bewegung ist es nicht mehr den Arbeiter zu erheben, sondern ihn zum Adeligen umzuerziehen.
Er soll aufhören darüber nachzudenken wie er genügend Geld für eine Waschmaschine zusammenspart, sondern gefälligst über die Klimaerwärmung nachdenken.
Hat man das verstanden, versteht man die aktuelle politische Position besser und versteht auch warum sie in etwa so gut performen wie die Dezebmristen vor fast genau 200 Jahren.