Menschen tun fürchterliche Dinge und manche davon empfinden wir als unverzeihlich. Aber was ist wirklich unverzeihlich und was sollten wir verzeihen?
Kürzlich sah ich ein Interview einer Persönlichkeit die deutlich zu jung viel zu erfolgreich in der politischen Sphäre wurde, dumme Entscheidungen traf, älter wurde und jetzt auf diese Entscheidungen mit Bedauern zurücksah. Damals wurde sie für die unklugen Entscheidungen öffentlich gecancelt und jetzt gerade erhält sie die exakt gleiche Behandlung von ihren ehemaligen Unterstützern, weil sie es wagt ihre alten Überzeugungen in Frage zu stellen.
Das interessante an der Sache ist, dass sie jetzt eine nuanciertere Sicht auf die Welt hat und genau das ist sowohl für den harten linken wie auch den harten rechten Flügel scheinbar unverzeihlich.
Das Problem hierbei ist im Grunde recht einfach zu verstehen: wenn eine Gruppe eine Person ausschließt, weil sie etwas Unverzeihliches getan hat, kann diese Person nur zu einer anderen Gruppe gehen. Die Rechte hat jetzt gerade den Wachsttumschub den sie hat nicht, weil sie attraktiver geworden ist, sondern weil die Linke so viele Leute rausgeworfen hatte, weil sie irgendwelche Dinge in ihrem Leben taten, die unverzeihlich waren, wie etwa den Film „Helden in Strumpfhosen“ lustig zu finden.
Und jetzt passiert was immer absehbar war: die Rechte gewinnt wieder Macht und tut genau das gleiche wie in den 80iger: sie wirft Leute aus ihren Reihen weil sie unverzeihliche Dinge tun, wie etwa zu behaupten dass Jordan Peterson nicht unfehlbar ist.
Was mich zu der Überlegung führte, ob der Grund warum das Christentum erstaunlich oft in der nähe erfolgreicher Gesellschaften auftaucht die Kernidee des Christentums ist, das Gott alles verzeiht, wenn man nur seinen Fehler eingesteht und um Verzeihung bittet und Menschen daher auch verzeihen sollten.
Als Agnostiker ist mein Interesse am spirituellen Christentum sehr klein aber reich mechanisch ist eine Wirkung feststellbar und es erscheint so als wäre die Idee dass nichts wirklich unverzeihbar ist und wir mit dem Verurteilen sehr gut aufpassen sollten, vor allem dann wenn das Gegenüber einsichtig ist und sich ändern will oder schon geändert hat.
Die Frage ist, ob wir diesen Teil des Christentums in unsere Gesellschaft ohne dem Christentum
a) integrieren könnten,
b) integrieren wollen und
c) integrieren sollten.
Ich denke die Antwort sind ja, nein und ja. Wir sollten (und könnten) aktiver verzeihen, aber das scheint gegen die menschliche Natur zu sein. Wir wollen zürnen und nachtragend sein und manche Gruppen sind in dem Bezug schlimmer als andere. Und das Internet hat diese dunklen Tendenzen in den Overdrive geschoben.
Je mehr Macht Gruppen haben die eher nachtragend und unversöhnlich sind in einer Gesellschaft haben, desto weniger wird verziehen und desto schlimmer spaltet sich die Gesellschaft. Das führt zu Konflikt, Leid und Krieg.
Sollen wir alles verzeihen? Natürlich nicht.
Manche Dinge sind wirklich unverzeihlich, aber wir sollten die Option in Betracht ziehen Menschen die Hand zu reichen die ohnehin schon am Boden liegen und einsehen, dass sie falsch lagen.
Eine Kultur, die zu mindestens in Betracht zieht das unverzeihliche zu verzeihen ist eine Gesellschaft die sich nicht in Gruppen aufspalten muss die sich untereinander hassen, weil sie sich gegenseitig nur als Gruppen von Menschen sehen die unverzeihliche Dinge tun, sagen oder denken. Sondern als eine Gesellschaft in der jeder für irgendjemanden wie ein Sünder aussieht. Und wir das mit einer gewissen Demut verstehen sollten.
Und wäre das nicht eine lebenswertere Gesellschaft als jene die wir aktuell rund um uns erleben?
Ich denke schon.