Vor einiger Zeit plauderte ich mit einem Bekannten über das damalig heiße Thema, ob es Grenzen geben sollte oder nicht. Ich warf ein, dass er gleichzeitig für ein freies Katalonien, Irland, Tibet usw. wäre aber gleichzeitig für Grenzenlosigkeit, diese Forderungen sich aber diametral widersprechen würden. Entweder lebt Tibet nach seinen eigenen Regeln oder nach den Regeln der Mehrheit die es umgibt. Ob das nun China oder die ganze Welt sei, ist dabei egal: entweder ist es frei (was bedeutet dass es Orte gibt die Tibet sind und solche die nicht Tibet sind und dazwischen eine Grenze ist) oder nicht.

Sein Problem an der Sache war, dass er das auf Anhieb verstand und nachdachte. Was im ersten Moment nicht wie ein Problem wirkt, sondern nach dem, was in jeder Diskussion passieren sollte: die Ansicht der Anderen in Betracht zu ziehen, abzuwägen und dann ins Weltbild in der eine oder anderen Art zu integrieren: sprich entweder findet man ein Gegenargument, dass dann Teil der Weltsicht wird oder aber man akzeptiert den Punkt und muss sein Weltbild irgendwie anpassen.

Das Problem war, dass er in seinem Freundeskreis, die die selben Forderungen unterstützten, die gleiche Frage stellte, in der Hoffnung ein Gegenargument zu finden. Nicht für mich, sondern für sich selbst, wie ich vermute.

Und hier begann die Tragödie, seine beste Freundin sagte ihm in sehr klaren Worten, dass solche „Gedankenspiele“ psychologische Kriegsführung sei und „schmutzige Tricks der Rechten“ wären und er sich durch die Anwendung dieser „Methoden“ auf „die Seite der Rechten stellen würde“. Was scheinbar recht unangehehm für ihn war weil diese implizierten Vorwürfe wohl nicht gerade leise vorgetragen wurden.

Sprich die Frage verpasste seinem Ansehen in der Gruppe einen erheblichen Kratzer und wäre er stur geblieben und hätte eine rationale Antwort eingefordert, wäre er wohl mit Schimpf und Schande von seinen „Freunden“ vertreiben worden.

Für den Menschen, als soziales Wesen, ist „aus der Gruppe geworfen werden“ ein existenzielles Problem. In der Steinzeit wäre das ein Todesurteil gewesen und daran erinnern sich unsere Instinkte bis heute.

Wir beklagen heute das Menschen sich in Bubble befinden und jede Bubble Dinge glaubt die andere Bubbles ohne Probleme widerlegen können, ihrerseits aber dafür anderen Stuss glauben.

Das ist nichts Neues. Das war immer so.

Das Internet ermöglicht uns nur nun in andere Bubbles reinzusehen und mit dem streitlustigen Teil anderer Bubbles herumzuzanken. Wie wir es hier machen.

Fakt ist dass wir von der Meinung der Bubbles von denen wir abhängig sind, also Familie, freunde, Nachbarn, Job und so weiter, nur innerhalb gewisser Limits abweichen können bevor die Probleme sehr real werden. Man kann die Meinungen im Geheimen haben und man kann sich im Internet hinter Avataren verstecken aber in Mitteleuropa zu sagen, dass das Volk keinen Führer (in Form einer Person, Partei oder Staat) braucht ist absolut inakzeptabel und führt zu erheblichen Problemen, was die Wächter der verordneten Normmeinung nur allzu gut wissen.

Seine Meinung zu ändern, kommt also mit erheblichen Kosten die sich bei weitem nicht jeder leisten kann. Im Job etwa ist es der Unentbehrliche, im Freundeskreis der Komiker und in der Familie der Wunderding leisten aber jeder dieser Positionen kommt mit erheblichen Nachteilen also erheblichen Kosten.

Das Internet senkte diese Kosten, indem wir unsere wahre Meinung, versteckt hinter einer Maske, vertreten können und entsprechend ist die Debatte jetzt hitziger als vor 40 Jahren wo jeder entweder die von Krone oder Standard verordnete Ansicht nachplapperte.

Die Kosten eine eigene Meinung zu haben war einst so teuer dass es sich nur die Könige leisten konnten, das Internet senkte den Preis und die Elite ist schwer damit beschäftigt diesen Preis wieder so hoch zu treiben dass nur sie sich dieses Privileg leisten können.

Seine Meinung zu vertreten, Widersprüche aufzuzeigen und Antworten einzufordern ist so günstig wie noch nie und es ist erschütternd dass jene die sich dieses Privileg endlich leisten können dennoch verzweifelt „verbietet dieses Chaos“ nach oben brüllen.

Vermutlich ist dass die wichtigste Lektion der letzten 50 Jahre.

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