Eine weitverbreitete Sichtweise auf die Geschichte ist, dass unsere Entwicklung sich in Stufen vollzogen hat.

Zuerst waren wir Tiere, dann wurden wir vor 200 000 Jahren moderne Menschen aber klopften uns mit Keulen auf den Kopf. Dann erfanden wir die Agrarkultur, das führte zu Überschüssen, das führte zu Städten dann Spezialisierung, Handel, Herrschaftsstrukturen, Imperien, Industrie und so weiter und sofort.

Diese Ansicht ist tief fehlerhaft und dramatisch irreführend.

Die Idee spiegelt sich in den meisten politischen Ansichten, wobei jede Ideologie postuliert, dass ihr Ideal das Ende der Reise darstellt. Alles davor war entweder Falsch oder eine Vorstufe zum Endzustand der Zivilisation. Linke, Rechte, Zentristen: alle sehen das in der eine oder anderen Art ähnlich.

Ein Teil dieser Ansicht ist die Idee, dass wir heute fähig sind Dinge zu verstehen die ein Steinzeitmensch nicht verstehen konnte. Das Problem an der Denkweise ist, dass es, vom biologischen Standpunkt, nicht wirklich drastische Änderungen in den letzten 200 000 Jahren gab. Würden wir ein Baby aus der Steinzeit entführen und hier aufziehen, würde dieser Mensch 20 Jahre später vermutlich nicht wirklich auffallen. All unsere modernen Konzept sind für ein Steinzeitmenschengehirn (sehr wahrscheindlich) einfach zu verstehen.

Was uns von unseren Vorfahren unterscheidet ist die technologische Vorarbeit auf die wir aufbauen konnten und sie eben nicht.

Die Ideen die wir heute als hohe Leistung erachten wären für Steinzeitmenschen also locker nachvollziehbar gewesen und sind in Wirklichkeit nicht so knackig wie die Politologen denken. Der Kollektivismus etwa basiert auf der Frage „Was wäre, wenn alle nur an die Gruppe und keiner an sich denken würde“. Sozialistische Ideen basieren auf der Frage „Was wäre, wenn jeder nur nimmt was er braucht und gibt was er kann und wir alles teilen?“. Klassisch nationalistische Ideen basieren auf der Frage: „Was wäre, wenn alle die die gleiche Sprache sprechen zusammenarbeiten würden“. Individualistische Konzepte basieren auf der Frage: „Was wäre, wenn keiner seine Nase in die Angelegenheit seiner Nachbarn stecken würde

Keine dieser Fragestellungen ist wirklich komplex oder erfordert die Technologie die wir haben.

Die Idee, dass wir erst jetzt zu diesen Ideen fähig sind ist absurd. Die Schlussfolgerung ist also, dass es diese Ideen schon gab. Liest man etwa Platos „Politeia“ drängt sich diese Schlussfolgerung auf. Viele der Gespräche in dem Buch erinnern sehr stark an Gespräche die man auch jetzt im Internet führt, vom Idealisten der drauf pocht, dass Menschen gut sind bis zum Typen der meint, dass alles den Bach runtergeht, weil die da Oben eh tun was sie wollen.

Die Ideen die wir debattieren sind, auf einer fundamentalen Ebene, nicht neu. „Teil ma halt alles“ haben schon vor 100 000 Jahren Leute vorgeschlagen und andere werden sie auch damals schon gefragt haben ob sie nicht lieber doch Beerensammeln gehen sollten anstatt von sozialer Gerechtigkeit zu schwafeln.

All die Dinge die wir hitzig debattieren sind alt mit neuen Namen.

Praktisch Nichts von dem was man vorschlagen kann ist nicht zumindest in Kleinen irgendwann einmal ausprobiert worden. Es gab Dörfer mit nur einem Kornspeicher wo alle einlagerten was sie konnten und rausnahmen was sie brauchten. Durchgesetzt hat sich das aber nicht. Wer mit menschlichem Verhalten vertraut ist versteht auch warum. Die heutige Gesellschaft ist nicht das Resultat von Theorie und Experiment der letzten 200 Jahre, sondern der letzten 200 000 Jahre.

Das Resultat ist eine Gesellschaft die so gut ist wie sie sein kann. Sich an Idealen zu orientieren ist schön und gut, aber der Grund warum wir heute mit nur einer 40 Stunden Woche tausend mal so viel haben wie jemand vor 1000 Jahren der doppelt so lange arbeitet ist nicht politische Theorie sondern zu hundert Prozent Technologie.

Und der Grund warum uns das nicht reicht liegt eben daran, dass das Konzept "genug haben" in der realen Welt nicht existiert.

Wenn wir wollen dass es Menschen besser geht ist der Weg die Technologie und nicht das durchdenken von Ideen die die Menschen schon debattierten bevor sie das Feuer nutzten.

Wir treten philosophisch nicht in unbetretenen Pfaden herum.

Wir laufen im Kreis.

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Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 17.01.2024 23:28:41

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