Ob und wie viel Hierarchie wir brauchen hängt eng mit unserem Weltbild zusammen. Wie zuvor diskutiert, hängt dieses Weltbild zu einem erheblichen Teil davon ab wie wir unsere Mitmenschen sehen. Wenn wir denken, dass die meisten Menschen eher gut sind kann man sich eine Welt vorstellen in der wir uns untereinander ausmachen wie wir leben. Wenn man denkt, dass Menschen eher schlecht sind braucht es jemanden der auf uns aufpasst.
Die erste Lösung kommt ohne Hierarchie aus und die zweite Version bedingt Hierarchie. Oder ist das so?
Im Bezug auf die Hierarchie muss man festhalten, dass es nicht die eine Art von Hierarchie gibt. Es gib Hierarchie in die man sich freiwillig einfügt und die man jederzeit verlassen kann und eine die einem aufgezwungen wird. Und dann gibt es die Realität in der Mitte.
In der Theorie ist etwa eine Firmenhierarchie eine Hierarchie in der man freiwillig ist und jederzeit raus kann. Aber was, wenn das der einzige Job ist den man bekommt und einen Job braucht um zu überleben?
Andererseits hat man die Diktatur die einem aufgezwungen wurde der man nicht entgehen kann. Aber auch hier gibt es Möglichkeiten sich die Freiheit zu erkämpfen.
Grundsätzlich sind Hierarchien in denen man freiwillig ist sehr viel angenehmer zu ertragen. Vereine etwa haben eine Hierarchie und Leute unterwerfen sich ihr völlig freiwillig.
Hierarchie gehört zum Leben. Oder ist das nicht so?
Alle Schulen des Anarchismus, egal ob die Flagge schwarz-gold (Anarchokapitalismus) oder schwarz-rot (Anarchokommunismus) ist, sagen dass wir Hierarchien nicht brauchen. Aber funktionieren solche Strukturen?
Ja, tun sie. Aber wie jedes andere Ding kommen die Vorteile immer mit Nachteilen.
Ein interessantes Beispiel stellt die Valve Corporation dar. Die Softwarelegende hat seit den frühen 2000endern eine extrem flache hierarchische Struktur. Es gibt zwar einen Eigentümer und es gibt Oberbosse aber darunter wird es sehr informell. Mitarbeiter können arbeiten wie sie arbeiten wollen. Jeder kann ein Projekt leiten und jeder kann ausführend agieren. Das übersetzte sich in der Vergangenheit in Erfolg gefolgt von Erfolg, gekrönt von noch mehr Erfolg.
Irgendwann änderte sich aber etwas und Insidern zu Folge ist dieses etwas eine versteckte Hierarchie die eben entstand und anfänglich nicht da war.
Das Problem ist, dass in einem System ohne Hierarchie nicht alle gleich sind. In einem Meeting wird die Stimme des Veteranen mit 20 Jahren Erfahrung und mit guter Reputation immer den Neuling oder den Versager schlagen. Die Obrigen mögen keine Vorgesetzten sein, aber sie können dennoch eher diktieren was gemacht wird und was nicht.
Das Problem ist aber, dass dieser Macht keine Verantwortung entgegensteht. In einer funktionierenden Hierarchie ist jede Entscheidung mit Konsequenzen verbunden. Wenn man etwas Gutes entscheidet wirkt sich das gut aus, entscheidet man etwas Schlechtes wirkt sich das schlecht aus. Wir müssen nicht darüber reden, dass es diesen idealen Zustand in der Realität nicht gibt, Verantwortungsträger werden immer versuchen sich herauszuwinden oder aber sich mit fremden Federn zu schmücken.
In einer flachen Hierarchie ist aber besagtes Rauswinden und Erfolg klauen unheimlich einfach. Man ist eben einfach nur ein einfaches Mitglied des Teams gewesen und hat gemeinsam eine Entscheidung getroffen wenn etwas schief gelaufen ist ("naja wir haben uns halt verrechnet ..."). Wenn die Entscheidung aber gut ist dann verkauft man sie beim Kaffee mit dem Boss eben als eine Idee die man gegen den Widerstand all der Tölpel im Team durchgeboxt hat ("... und dann habe ich zum Glück ...").
Diese flache Hierarchie begünstigt also das Vorankommen der übelsten Menschen noch mehr als ein hierarchisches System, was dazu führt das binnen 10 Jahre die defakto Führung völlig überrannt mit genau den Menschen ist die man nicht über sich haben möchte und weil sie nicht wirklich „über einem“ sind hat niemand in der Struktur wirklich eine Chance etwas gegen sie zu tun, weil man sie nie so wirklich mit ihrem Versagen in Zusammenhang bringen kann.
Anarchie funktioniert also. Aber nicht gut und nicht lang. Je reiner die Anarchie, desto schneller geht das Ding krachen.
Hierarchie ist eben keine soziale Konstruktion. Hierarchie ist eine emergente Größe, sie entstammt den Unterschieden in uns.
Jemand der erfahrener, erfolgreicher oder schlicht beliebter ist, wird in der Gruppe mehr Gewicht haben als jemand dessen Reputation diese Dinge nicht hat. Hierarchie bedeutet einfach nur diese Dynamik zu offizialisieren.
Die Macht muss aber mit Verantwortung einhergehen. Tut sie das nicht, funktioniert das System nicht. Das Versagen von Politiken etwa an Politiker zu binden ist genau so ein Ausweichmanöver. In einem vernünftigen demokratischen System ist jeder politische Fehler ein Stigma das an der Partei klebt. Wir brauchen keine Verantwortung für Politiker, wir brauchen eine Wählerschaft die die Partei in die Verantwortung zieht, denn nur das führt zu Parteien die fähige Personen an die Spitze setzt, anstatt Gallionsfiguren die als Opferlämmer verwendet werden können. Falsche Entscheidungen müssen die Partei belasten, nur so denkt sie langfristig.
Und diese Verantwortung liegt beim Wähler.
Die ideale Lösung, im Sinne der Lösung die Menschen scheinbar am liebsten haben, ist wohl die Hierarchie in der man freiwillig ist. Nicht Anarchie, nicht Diktatur (auch keine Diktatur der „Besten“ oder „Guten“), sondern eine kompetente Führung die auch die Verantwortung nicht scheut und Fehler eingesteht. In anderen Worten: was wir brauchen ist eine Hierarchie der Kompetenz und so wenig Zwang mitzumachen wie nur irgendwie möglich.
Nicht wirklich weil ich denke dass Menschen eher gut sind (obwohl ich das denke), sondern vorwiegend weil die wirklich schlimmsten Menschen scheinbar in der Strukturlosigkeit am besten zurecht kommen und ich der Meinung bin dass wir es eben jenen etwas schwerer machen sollten.
Wenn sonst schon Nichts, denke ich dass wir uns fast alle einig darin sein können dass dieses Ziel etwas ist dem wir alle etwas abgewinnen können.