Vor wenigen Wochen hatte ich einen Geschäftskontakt aus Deutschland zu Besuch in Wien. Ein Mann mittleren Alters aus dem Osten Deutschlands. Gebildet, kompetent, ein Problemlöser mit einem Problem das er nicht lösen konnte. Seine Idee jemandem aus einem anderen Feld in das Problem einzuführen ist für sich schon ein Zeichen eines komplexen Verstandes.
Zwischen den Versuchen die harte Nuss zu knacken plaudert man natürlich über Allfälliges. Eine übliche Frage ist ob das Gegenüber zu befragen ob es denn schon einmal hier war. Er nickte. Er war schon in Wien, sagte er, aber das ist nun rund 20 Jahre her. Mit einem Gesichtsausdruck, der uns Menschen gemein ist wenn man etwas sagen möchte aber einfach nicht weiß wie, sagte er dann zögerlich dass die Stadt nun europäischer wäre als vor 20 Jahren. „Heruntergekommen?“ Fragte ich.
Er nickte.
Der Wiener Charm, so die Berliner Schnauze, sei dem gewichen was im Moment in jeder europäischen Stadt blühe. Die Straßenecken von Berlin, Wien und Paris sehen gleich aus auch die Taxifahrer sehen auch überall gleich aus. Die Produkte im Supermarkt sind die gleichen und auch der Verfall der Infrastruktur ist überall gleich.
Die Unterschiede verschwimmen und darüber zu sprechen sei vor allem in Deutschland „gefährlich“, man wisse ja nie so genau wer zuhört. Es sei wieder ein wenig wie damals in der DDR diesbezüglich, diese Anmerkungen waren wohlgemerkt ein Resultat von Tagen in dem ich ihm versicherte dass Österreich definitiv nicht Deutschland sei und er auf seine Sprache nicht so achten müsse wie in Deutschland.
Die Internationalsozialisten jubeln natürlich: die Unterschiede zwischen den Nationen verschwinden, großartig!
Ist es aber so?
Betrachtet man Europa mit ausreichend Abstand ist Europa deutlich homogenisierter als vor 20 Jahren. Das Problem ist aber dass es im Detail anders aussieht.
Was Internationalsozialisten nicht erkennen ist dass die Unterschiede zwischen den Bezirken und Regionen steigen.
Menschen sammeln sich nunmal und ziehen tribalistische Grenzen. Wenn es dem Deutschen möglich ist zieht er in eine deutsche Community und der Russe zieht in eine russische. Ganze Bezirke, in europäischen Städten, sprechen andere Sprachen als das ursprüngliche Land. Wir ersetzen die Nationen Europas durch Mikronationen.
Das Europa der Nationen wird zu einem Europa der Lichtensteins, die Grenzen zwischen den Kulturen sind nicht verschwunden. Die Bereiche wurden nur kleiner.
In einer grausamen Ironie haben die Internationalsozialisten, mit ihrem Kampf gegen die Nation, die Grundlage für hunderte neue Nationen gelegt.
Mein Besucher fragte ob ich glaube dass die Grenzen Europas jetzt endlich fix bleiben könnten, ich verneinte und spekulierte auf ein noch deutlich stärker fragmentiertes Europa in einer absehbaren Zukunft. In 20 Jahren, eventuell in 30. Ob die Frakturen dann ethnisch oder ideologisch sein werden ist kaum zu beantworten. Ich hoffe ja bekanntlich auf Letzteres, befürchte aber Ersteres. Vermutlich wird es eine Mischung sein.
Was bleibt ist eine neue Redewendung: Wenn etwas „europäischer“ wird, dann ist das kein Kompliment mehr sondern bedeutet dass es schäbig wirkt.
Das sollte zu denken geben.