Der Begriff der Zivilisation ist weitgehend gleichbedeutend mit der Komplexität unseres Zusammenlebens als Menschen. Zivilisation beginnt, wenn Hans ein Ding braucht, das er selber nicht herstellen kann und deswegen Franz braucht, der dieses Ding herstellen kann, aber seinerseits wieder von anderen abhängig ist. Je abhängiger wir von anderen werden, desto zivilisierter sind wir. Kurz gesagt.

Die Yanomami im Amazonas leben teilweise noch steinzeitlich und mehr oder weniger jeder in so einer Gemeinschaft kann mehr oder minder alles herstellen, was er braucht. Sie leben also unzivilisiert. Amish in Amerika lehnen Hochtechnologie bekanntlich ab, sind aber durchaus spezialisiert: nicht jeder baut seine Kutsche selbst. Sie sind also zivilisierter als die Yanomami aber weniger zivilisiert als wir, die selbst wenn wir wollten kein Smartphone selber bauen könnten.

Wenn Zivilisation passiert wenn Hans etwas braucht das er selbst nicht bauen kann, etwa einen Computer, dann stellt sich die Frage was „brauchen“ wirklich bedeutet. Die Yanomami brauchen keinen Computer, warum wir?

Der reichste Yanomami wäre in unserer Gesellschaft bitter arm. Was wir brauchen, ist also eine Kontextfrage, genau wie die Frage was Armut und Reichtum überhaupt ist. Primitivisten argumentieren mit Slogans wie „Alles was du besitzt, besitzt dich“ dass unser vermeintlicher Wohlstand uns in Wirklichkeit belastet und in Abhängigkeiten bindet. Und das stimmt, für sich betrachtet.

Unzivilisierte Menschen argumentieren recht häufig damit, dass sie all den Firlefanz nicht bräuchten, weil sie auch ohne das Klumpat überleben können und das Argument ist grundsätzlich auch korrekt, bis man Dinge wie Kindersterblichkeit berücksichtigt und fragt, ob es nicht doch netter wäre, wenn mehr Kinder überleben würden.

Der Unizivilisierte argumentiert also aus einer Position der Ignoranz, sprich ohne Vorteile zu berücksichtigen die er nicht kennt.

Interessanter als der Unzivilisierte ist der Antizivilisierte.

In der Fantasyliteratur assoziieren wir Völker wie die Orks als die Antizivilisierten. Der Ork zieht nicht herum und überfällt Dörfer und Städte, um sie zu erobern und für sich in Besitz zu nehmen. Der Ork kommt, plündert, zerstört und zieht weiter.

Orks sind als solches nicht böse, sie haben nur einen instinktiven Hass auf Zivilisation. Das macht sie aus und das macht sie für die Zivilisierten zur verhassten Gefahr.

Genau wie Umweltaktivisten.

Viele Umweltaktivisten sehen die Zivilisation genau wie Orks: als etwas Unnatürliches, das weg muss und argumentieren wie Amish oder Yanomami mit der Idee dass wir das ganze technologische Zeig nicht wirklich brauchen und der Verlust dieses Zeugs uns nicht ärmer sondern freier machen würde.

Der Punkt ist nur dass der Antizivilisierte es besser wissen sollte.

Natürlich können wir steinzeitlich leben aber dann haben wir auch wieder die Kindersterblichkeit von damals.

Was uns den Menschenfeinden führt.

TC Boyle postuliert in seinem Buch A Friend of the Earth aus 2000 dass ein Freund der Erde ein Feind der Menschen wäre. Wie Agent Smith in „the Matrix“ sind Menschen mit dieser Weltsicht der grundsätzlichen Ansicht, dass der Mensch eine Krankheit ist, die das Leben der Erde krank macht. Die Heilung wäre erst möglich, wenn die Menschen entweder weg wären (aus der Sicht der besonders Radikalen) oder wir uns wieder mehr, wie Tiere verhalten würde. Der Lebensstil der Yanomami ist für Primitivisten akzeptabel, für manche selbst der Lebensstil der Amish.

Für den Menschenfeind ist nicht einmal das ok.

Was der Umweltschützer aber nicht versteht ist, dass es grundsätzlich keinen Unterschied zwischen einem Biberdamm und einem Atomkraftwerk gibt. Beides sind Dinge, die ein Tier gemacht hat, um seine Umwelt an seine Bedürfnisse anzupassen. Dem Biber ist es egaler als uns, was mit anderen Spezies passiert, dennoch ist sein Damm ein „Teil der Natur“ und unser Atomkraftwerk etwas Magisches, Unnatürliches, Künstliches. Warum? Weil Zivilisation.

Im Umweltschutz schwingt immer antizivilisiertes Denken mit.

Wir haben uns die Orks ausgedacht, weil ein Teil von uns, genau wie die Orks, alle Steinmauern niederreißen wollen, um wieder natürlicher zu leben. Tyler Durden in Fight Club verkörpert dieses Element auch sehr treffend.

Ein Teil von uns denkt wie ein Ork (oder Tyler) und der rationale Teil in uns hält diesen Ork in uns in Schach. Wer diese Rationalität nicht besitzt, der findet Rechtfertigung für seinen Wunsch die Zivilisation zu zerstören und diese Rationalität finden die meisten im Umweltschutz.

Die Frage, die bleibt ist wie zivilisiert der Mensch sein soll oder sein kann. Wie sehr sollen wir abhängige Rädchen sein, von denen andere abhängig sind und wie sehr sollen wir wild, frei und unzivilisiert sein?

Diese Frage ist scheinbar nicht klar zu beantworten, jedenfalls nicht in einer Art und Weise die für jeden tragbar wäre. Deswegen ist es gut dass wir auf einem Planeten, als eine Spezies auf unterschiedlichen technologischen Niveaus nebeneinander existieren können.

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