Etwas, das viele Menschen, vor allem im linken Spektrum, nicht verstehen können, ist dass man sich gegenüber unterschiedlichen Menschen unterschiedlich verhalten kann. Ich möchte so ein unterschiedliches Verhalten an mir selber demonstrieren:
Ich bin zuhause ein Kommunist,
bei meinen Freunden ein Sozialist
und jenseits dieser Sphären ein Kapitalist.
Was bedeutet das?
Zuhause leben wir faktisch nach dem kommunistischen Credo: jeder tut, was er kann und nimmt, was er braucht. Naturgemäß ist der Beitrag eines Kindes klein und sein Bedarf hoch. Daraus ergibt sich die heimliche Verteilung: die Eltern schaffen signifikant mehr Werte an als sie selber konsumieren. Es kann ja auch gar nicht anders sein. In einer Familie wird eben geteilt und nicht hochgerechnet, wer was leistet. Jeder leistet, was er kann und nimmt, was er braucht: was ja bekanntlich nach Marx die Grundlage des Kommunismus ist. In einer Familie verhält man sich also eher altruistisch, die Grenzen dieser Welt ist aber eben die Familie.
Im Freundeskreis geht’s es nicht ganz so selbstverständlich zu. Im Freundeskreis hilft man sich auch wo man kann, aber Personen, die nur nehmen und niemals geben, obwohl sie könnten, fallen auf und erhalten einen schlechten Ruf. Dieser schlechte Ruf führt dazu, dass die Bereitschaft der anderen zu helfen sinkt. Meistens nicht auf Null, aber doch oftmals auf einen unangenehm niedrigen Wert. Hilfe ist nicht mehr eine Sache, die unbedingt erfolgt, sondern daran geknüpft ist, wie sich derjenige verhält und wenn jemand nur nimmt und niemals gibt, obwohl er könnte, sinkt die Bereitschaft seines Umfeldes, ihm zu helfen. Das Verhalten ist hier nicht mehr altruistisch sondern „nur noch“ solidarisch: man hilft sich ohne genau aufzurechnen, aber im Hinterkopf weiß man dann doch wer mehr gibt als nimmt und umgekehrt und so nett der Hans auch sein möchte, keiner borgt ihm mehr Geld.
Sobald man es dann mit Fremden zu tun hat wird der Ruf zu einer unverlässlichen Sache. Wenn jemand, den wir nicht kennen, etwas hat, das wir gerne hätten, ist es schlicht nicht vernünftig, für ihn uns diese Sache zu geben und darauf zu hoffen dass, wir uns irgendwann einmal revanchieren würden. Es ist ja absolut möglich, dass wir diese Person nur einmal in unserem Leben treffen. Die Lösung für dieses Problem war es den Ruf messbar zu machen. Diese Lösung war Geld. Jemand, der genauso viel verkauft wie konsumiert: hat kein Geld. Seine Bilanz ist null. Jemand, der aber mehr produziert/verkauft gibt mehr an die Gesellschaft als er nimmt und hat dann mehr Geld. Im Freundeskreis sind das jene mit einem guten Ruf, die die eben ständig helfen aber selber nie um Hilfe bitten.
Auf der anderen Seite sind jene die mehr konsumieren als sie zurückgeben tief verschuldet. Für sie wird es immer schwerer an Geld zu kommen. Im Freundeskreis sind das jene die ständig um Hilfe bitten und selber nie die Zeit finden zu helfen. Solche Leute finden es üblicherweise über die Zeit schwieriger jemanden zu finden der bereit ist ihnen zu helfen. Das alles ist noch halbwegs verständlich.
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Das Problem ist die steigende Komplexität. So ist etwa die Idee dass sich im freien Markt "Menschen an anderen bereichern", weil sie sie für sich arbeiten lassen, eines der Fundamente der linken Ideologie. Der Vermieter und der Fabrikbesitzer würden ja nichts arbeiten und hätten daher kein Anrecht darauf Geld zu erhalten.
Auch hier macht es Sinn zu überlegen wie sich das im Freundeskreis niederschlagen würde. Wenn Jemand eine Feier veranstalten würde und 10 seiner Freunde würden ihm helfen alles für die Feier herzurichten, wobei einer der Freunde „nur“ sein Haus zur Verfügung stellen würde, wäre es hochgradig verwunderlich wenn diese Leistung gering geschätzt würde. Selbst wenn derjenige nicht bei den Vorbereitungen helfen würde, würden wir üblicherweise das "zur Verfügung stellen einer Räumlichkeit" hoch loben, denn ohne diesen Raum könnten die anderen erst gar nicht tätig werden.
Seine Leistung besteht darin sich etwas geschaffen zu haben das er dann später zur Verfügung stellt. Das ist verständlich aber es ist nicht mehr so einfach zu verstehen wie die direkte Hilfe.
Genau hier wird es wirklich knifflig.
Geld ermöglicht es uns auch eine Leistung die wir vor Jahren geleistet haben im hier und jetzt einzutauschen. Das macht das System ja so praktisch. Es bietet uns auch noch die viel abstraktere Möglichkeit diese Leistung zu verschenken (oder zu vererben). Somit ist es möglich etwas im hier und jetzt gegen die Leistung der Großmutter einzutauschen. Und genau hier endet die Leistungsfähigkeit unseres Bauchgefühls.
Wenn in unserem Freundeskreis jemand sagt, dass er ein Anrecht auf eine Leistung hat weil seine Großmutter so ein sozialer Mensch war, dann schrillen unsere Alarmglocken. Zu Recht, denn so jemand ist offensichtlich ein Betrüger. In einem System in dem zeitliche Entkopplung aber ein zentraler Faktor ist, sind solche Transaktionen absolut sinnvoll und moralisch gerechtfertigt: jemand hat eine Leistung erbracht und sie an eine andere Person freiwillig transferiert.
Geld ist eben nicht Ruf, Geld ist eine sehr viel genauere Information die uns sagt wer was geleistet und was konsumiert hat. Zudem gibt es uns die Möglichkeit diesen Wert zu transferieren, etwas das mit Ruf nicht funktioniert.
Im Freundeskreis kann der Hilfsbereiteste eben nicht seinen guten Ruf an den am wenigsten Hilfsbereiten übertragen. Im Markt ist das möglich und das verwirrt unser armes Gehirn. Für so einen Gedankengang ist es schlicht nicht geschaffen.
Der Mensch lebt in seiner natürlichen Umgebung in einem Stamm der nicht mehr als 150 Personen umfasst. Heute manifestiert sich dieser „Stamm“ als „Freundeskreis“ und in unserem Freundeskreis verhalten wir uns so wie es sich „richtig anfühlt“: wir teilen, wir helfen, wir rechnen nicht so genau nach. Diese heuristische Methode funktioniert wunderbar in einem überschaubaren Kreis aber versagt vollständig wenn man mit Menschen zu tun hat die man nicht regelmäßig sieht.
Es ist daher absolut verständlich dass unser Bauchgefühl dem Kapitalismus gegenüber sehr skeptisch ist da er Dinge ermöglicht die sich nicht richtig anfühlen, die aber, denkt man das Ganze abstrakt durch, absolut Sinn machen und deutlich gerechter ist als die heuristische Herangehensweise.
Will man mit Menschen zusammenleben, die man nicht kennt, kann man sich auf sein Bauchgefühl und auf Reputation nicht verlassen, unser Gehirn versucht aber ständig genau das zu machen.
Der sozialistische Ansatz suggeriert dass sich auch Fremde wie Freunde verhalten würden. Das ist aber eben nachweislich nicht der Fall. Unser (Steinzeit)Gehirn ist sich ja auch völlig darüber im klaren dass es neben dem eigenen Stamm auch andre Stämme gibt und diese anderen Stämmen begegnet es im Idealfall mit Vorsicht. Im schlimmsten Fall mit offener Feindseeligkeit. Und auch das hat einen guten Grund: "die Andren" stellten sich oft nicht als Freunde heraus.
Es reichen hierbei bereits sehr wenige Menschen die als Freunde behandelt werden sich aber selber feindlich verhalten um dieses System vollständig zum Entgleisen zu bringen. Genau diese Entgleisungen können wir in jedem sozialistischen Setup beobachten: irgendwer nutzt die Masse aus, worauf die breite Masse beginnt dem System zu misstrauen.
Der Kapitalismus ist also etwas das zwar halbwegs fair ist, aber es ermöglicht Dinge die unser Gehirn (verständlicherweise) fehlinterpretiert. Das liegt daran dass unser Gehirn in einem Umfeld arbeitet für das es nicht optimiert ist.
Genau diese Fehlinterpretationen werden als Fehler im System gedeutet, schlicht weil es sich so anfühlt als wären es Fehler.
Die Debatte zwischen Sozialisten und Kapitalisten scheitert daher nicht so sehr an einem Verstehen der Sache als viel eher der fehlenden Fähigkeit zu akzeptieren dass unser Bauchgefühl falsch liegen könnte.
Diese Erkenntnis braucht Zeit und die Erfahrung dass unser Bauchgefühl sehr regelmäßig völlig unbrauchbar ist. Um Kapitalist zu werden muss man also eine der schwersten Dinge zuerst hinter sich bringen: man muss akzeptieren das man sich auf sein Herz und seinen Bauch oft nicht verlassen kann.
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