Zugegeben, ein provokanter Titel, aber Österreich insbesondere diejenigen die dem Land allzu patriotisch gesinnt sind provozieren ebenso.
Vor ca. 2 Jahren war ich unter diesem Nickname das letzte Mal aktiv hier und ich erinnere mich noch, wie ich mich damals bei einem User dafür rechtfertigen musste, dass ich "zu gut Deutsch für einen Ausländer" kann... irgendwann im Zuge unserer Diskussion meinte er dann zu mir "dann geh doch, wenn´s dir hier nicht gefällt" - tja gesagt getan, ich bin aus Österreich gegangen und so im Nachhinein gesehen widert es mich jetzt noch mehr an, als vor 2 Jahren. Versteht mich nicht falsch, Österreich bleibt, als nostalgische Erinnerung, immer in meinem Herzen, auch wenn es für mich als Flüchtlingskind (Bosnienkrieg 1991) nie wirklich einfach war.
Schulnachricht von 1997/98:
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Religion: nicht teilgenommen
Sachunterricht: 1
Deutsch, Lesen, Schreiben: 3
Mathematik: 1
Musikerziehung: 1
Bildnerische Erziehung: 1
Werkerziehung: 1
Leibesübungen: 1
Genau so verlief meine (fast - es gab auch tolle Lehrer) gesamte Schulzeit. Ich erinnere mich noch an die Aussagen meiner Lehrer, dass (und ich zitiere) "eine Zugereiste (zugereist? Als ob ich freiwillig hier Urlaub machen würde, während der Rest meiner Familie im Balkan masakriert wird) keine 1 in Deutsch haben kann", denn es "würde ja komisch aussehen, wenn ich als Einzige so aus der "Masse" hervorsteche". Die letzten 3 Jahre vor der Matura waren auch sehr witzig, meine Deutschlehrerin konnte eigentümlicherweise meine Handschrift nicht lesen und ich durfte ihr meine Schularbeiten vor der gesamten Klasse vorlesen. Grammatik und Rechtschreibung beurteilte sie natürlich mit einer 5, da sie ja nicht nachvollziehen konnte, ob ich die Worte richtig geschrieben hab und ob ich nicht eventuell im Nachhinein beim Vorlesen die Satzstellung manipuliert habe - "damit es Deutsch" klingt. Ausdruck und Inhalt waren natürlich immer 1er und 2er - Durchschnittsnote 4.
Bis zur Abschlussprüfung, wo es dann Pflicht war, dass alle 4 Maturaklassen ihre Arbeiten auf dem PC schreiben DURFTEN. Plötzlich fand ich meine Arbeit ganz oben auf der Punkteliste. Die Beste Abschlussarbeit aller 4 Klassen. Ihr hättet ihr hochrotes Gesicht, bei der Übergabe des "vorläufigen" Zeugnisses sehen müssen, als ich ihr vor versammelter Kommission gesagt habe, dass ich das Zeugnis nicht annehmen will, nach 3 -jährigem Martyrium - es wurde mir dann freundlicherweise per Post zugesendet.
Ich könnte hunderte von Seiten mit solchen Geschichten schreiben, aber wen interessierts, vermutlich nur wenige und das könnte irgendwann zu einem Problem werden.
Als ich den letzten Gegenstand meines Hausrats, einen Mop, in meinen kleinen Skoda Baujahr 1999 verstaute, dachte ich kurz an den vorhin genannten User. Ich fragte mich, was er wohl denken würde, ob es ihm nun besser gehen würde - finanziell und emotional - wenn er wüsste, dass ein Ausländer, ein ehemaliger Flüchtling, weniger in seinem Land "residiert". Was er dazu sagen würde, dass ich die letzten Monate vor meiner Ausreise, es mir "gegönnt" habe vom Staat zu leben, ich geplant einvernehmlich gekündigt habe, damit mir keine Zahlung gestrichen wird. Dass ich mir als Amtsträgerin, quasi vom Land, Schulungen bezahlen lassen habe, die mich beruflich in meiner neuen Heimat voranbringen. Was würde er dazu sagen, dass ich nach 4 Monaten geheiratet habe um ein Visum für meine 3te Heimat zu bekommen? Und, falls er es miterlebt, was würde er sagen, wenn ich in ein "paar" Jahren aus meiner neuen Heimat, Pension aus Österreich fordere?
Um 22 Uhr startete ich meinen Skoda, den ich Benjamin nenne, und machte mich auf den Weg. Knappe 3.000 km und eine Fährenüberfahrt lagen vor mir. 23 Stunden und 47 Minuten Fahrt, 21 Stunden Fähre und viel Zeit zum Nachdenken.
In keiner Sekunde habe ich meine Entscheidung bereut, oder Österreich durch einen rosarote Brille gesehen, aber ich hatte Schuldgefühle. Ich bezog ein paar Wochen Arbeitslosengeld und fühlte mich schuldig deswegen. Aber die gleiche Behörde, die ich "ausgebeutet" habe, finanzierte - zwangsvollstreckte - mir ein paar Jahre zuvor, nach meiner Matura, einen Kurs namens "Deutsch als Fremdsprache", damit ich aus der Arbeitslosenstatistik draussen bin. Einvernehmliche Kündigungen sind beruflicher Alltag, als HR Administratorin und Personalverrechnerin weiß ich das und meine Schulungen die mich im Leben weiterbringen, brachten auch das Unternehmen weiter, für das ich zu diesem Zeitpunkt gearbeitet habe. Ich kenne 4 Österreicher (österreichische Österreicher - keine "zugereisten" Österreicher), die sich mit der Österreichischen Rente ein schönes Leben in Thailand, Kroatien, Spanien und Brasilien machen. Geheiratet haben wir beide nur "ungern" standesamtlich, uns hätte unsere kleine "keltische" Zeremonie unter einem Apfelbaum auch gereicht. Warum also plagten mich Schuldgefühle?
Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich nach 27 Jahren noch immer nicht dazugehöre. Egal ob mein Deutsch perfekt ist, ich die österreichischen Traditionen kenne, wertschätze und auch lebe. Zu Weihnachten, als Muslimin, in die Kirche gehe (das ist eine andere Geschichte :) ) und ich in meinem sozialen Umfeld nicht einen Ausländer als Freund bezeichnen kann. Ich bin, was viele Österreicher fordern, voll integriert und doch weniger wert.
Ich trage einen altdeutschen Vornamen und einen südslawischen Nachnamen. Und wenn in meinem Stammtisch die Worte "ma soid olle Flüchtlingsheime niederbrennan, damit sie si zruck schleichn de scheiss Kanakn" fallen, dann bin natürlich nicht ich gemeint, denn ich bin ein guter Ausländer, "a unsrige". Und wenn ich gegen menschenverachtende Aussagen argumentiere dann, verstehe ich natürlich die Situation nicht, denn ich bin ja keine Österreicherin.
Man kann es euch nicht recht machen, zumindest wüsste ich nicht wie, außer natürlich wenn alle euer Land verlassen.
Nur was macht ihr dann?
Seitdem ich in Irland bin, habe ich mich mehr mit meiner Kultur beschäftigt. Ich habe jetzt auch Freunde aus dem ehemaligen Jugoslawien - Kroaten, Slowenen, Serben, Albanier. Auch viele ehemalige Arbeitskollegen sind an mich herangetreten. Sie finden es alle ziemlich toll, dass ich ausgewandert bin und oft sind die Worte gefallen "das habe ich mir auch schon überlegt". Was wäre, wenn plötzlich, alle gehen würden.
Hier in Irland wimmelt es nur so von "Zugereisten". Letztens hat eine "Schwarzafrikanerin" irgendeinen Marathon gewonnen. Über 300 Kommentare fanden sich zu diesem Artikel auf Facebook. Ich habe mir alle durchgelesen - kein einziger erwähnte ihre Hautfarbe, nur positive, bestärkende Kommentare.
Ich lebe auf dem Land, viele hier sind sehr "konservativ", am Sonntag staut es, weil alle in die Kirche fahren.
Ich werde täglich gefragt woher ich komme und in den ersten Wochen antwortete ich immer "aus Österreich", mittlerweile antworte ich "aus Bosnien" und jeden Tag heißt es "welcome and nice to meet you".
Wenn man die Iren fragt, ob es sie stört, dass es hier so viele Polen gibt, sieht man verdutze Gesichter, zwei der besten Antworten waren "sie haben unser Land mit aufgebaut" und "unsere Väter waren auch Flüchtlinge". Die Iren wissen, dass sie auf ihre Ausländer angewiesen sind, haben aber keine Angst ihre Kultur und Traditionen deswegen zu verlieren. Sie haben keine Angst weniger Geld zu haben, wenn sie Flüchtlinge aufnehmen. Im Gegenteil, die Polizei bei meiner Einreise, hat sich nicht nur entschuldigt, dass sie mich kontrollieren und mir vergewissert, dass es nichts mit meiner Herkunft oder Religion zu tun hat, sie haben mir noch den Rat gegeben, dass ich ein Formular beim zuständigen Finanzamt beantragen kann um mein Auto "offiziell" nach Irland zu übertragen, damit ich mir die 27% Einfuhrsteuer spare.
Man verurteilt hier nicht den Menschen, sondern das System, welches oftmals unfair ist.
In Irland ist man stolz, wenn ein Ausländer Irisch lernt und beherrscht und beeindruckt, wenn er ein Wort richtig auspricht oder schreibt.
Es ist eine ungemeine Last von meinen Schultern gefallen, derer ich mir nie bewusst war. Wenn ich nun Tischreservierungen in einem Restaurant vornehme, lasse ich nicht mehr auf "Müller" reservieren, sondern verwende das erste Mal meinen richtigen Namen. In meinem Lebenslauf steht unter Muttersprache nun Bosnisch statt Deutsch und wenn ich auf südslawische Touristen treffe rede ich mit denen in "ihrer Sprache" und schäme mich nicht mehr vor Bekannten "nicht Deutsch" zu reden.
Ab und zu frage ich mich, wie viele Zugereiste in Österreich unter dieser Last leben, ohne, wie ich, zu wissen, dass sie belastet sind. Und ich frage mich wie viele Kinder 3er in Deutsch bekommen, obwohl sie besser sind. Und natürlich frage ich mich, wie viele von "meinen" Leuten, den gleichen Entschluss treffen und Österreich verlassen werden.
Und ich frage mich wie viele es betroffen macht, zu lesen, dass Österreich, zumindest für einen einzelnen Menschen, nicht mehr lebens (aber nicht liebens)wert ist. Denn mich betrifft es und es macht mich betroffen. Denn selbst, wenn ich die Entscheidung getroffen habe zu gehen, bin ich auch ein Stück "gegangen worden". Ich habe Österreich aus ähnlichen Gründen verlassen, wie meine Mutter damals Bosnien verlassen hat: Ich möchte eine sichere und "kindgerechte" Umgebung für meine Kinder, frei von Gewalt und Rassismus.