Wir wollen nicht belehrt werden, eigentlich von niemandem. Nicht von unserem Bundes-Fischer-Heinzi oder der Innenministerin, schon gar nicht von selbst ernannten Experten für eigentlich eh alles und am allerwenigsten von Prominenten, die mit unserem Leben so viel zu tun haben wie die Wiener Copacabana mit dem Originalstrand in Rio de Janeiro. Seit sich Schauspielerin Gwyneth Paltrow dazu berufen fühlt, immer und überall Ernährungs- und Entpartnerungstips zu geben, hat sie rapide an Beliebtheit verloren.
Und jetzt also Kirsten Dunst. Die Schauspielerin, die schon die verwöhnte Dann-Sollen-Sie-Doch-Kuchen-Essen-Herzogin Marie Antoinette verkörpert hat und sich in Lars von Triers „Melancholia“ schmerzhaft der titelgebenden Stimmung auslieferte, will der Generation Selfie den Spiegel vorhalten. Sie tut das mit einem zweieinhalb Minuten langen Kurzfilm namens „Aspirational“ (aufstrebend, ehrgeizig), der seit kurzem durch das Netz geistert (Copyright: Filmemacher Matthew Frost)...
Darin sieht man die Schauspielerin vor ihrer Villa vermutlich irgendwo in Los Angeles auf den soeben bestellten Uber-Fahrer warten, als sie von zwei jungen, vorbeifahrenden Frauen erkannt wird: „Are you Kirsten Dunst?“, fragen die, stürzen unter lauten „Cool! Cool!“-Rufen aus dem Auto und zücken ferngesteuert ihre Smartphones. Ohne zu fragen knipsen sie Selfies mit „Kirsten, Fucking!, Dunst“. Die weiß kaum wie ihr geschieht, fragt die zwei freundlich: „Do you wanna talk or anything? You can ask me a question.“ - „Wollt ihr vielleicht mit mir reden? Mich irgendetwas fragen?“. Stille. Ungläubige Blicke. „Kannst Du mich taggen?“, fragt eine der Frauen bevor sie wieder ins Auto steigt und jubelt, sie habe bereits 15 Likes für ihr Kirsten-Dunst-Selfie bekommen. Gut, wir haben die Botschaft verstanden. Zwei oberflächliche junge Frauen haben sich die Chance auf eine Plauderei mit einem Star entgehen lassen, weil sie nur an der Trophäe Selfie interessiert waren. Und die dummen Frauen, das sind gewissermaßen wir alle.
Die ständige Knipserei ist tatsächlich zur Verhaltens-Epidemie geworden. Auf Konzerten, am Strand, in den Bergen oder beim Rundgang durch das Museum of Modern Art in New York oder das Van Gogh-Museum in Amsterdam sieht man Menschen, die Fotos von sich und der Umgebung oder den Gemälden machen anstatt die Situation zu genießen oder das Bild auf sich wirken zu lassen. Wir ehrlich und selbstkritisch ist, gibt zu, dass er den Drang schöne Situationen fotografisch festzuhalten, durchaus kennt. Und am Ende nachzählt, wie viele Facebook-Daumen oder Instagram-Herzerln er von seinen Freunden bekommen hat. Kirsten Dunsts Video soll uns zwar an den Kalenderspruch „Seize the Moment“ erinnern, ist aber auch ein bisschen wehleidig. Hier übt eine Prominente Kritik an der neuen Ungezwungenheit von Fans. Selfies mit Prominenten haben die Autogramme abgelöst – und während man den Star noch brav um seine werte Unterschrift auf einem Stück Papier bitten musste, passiert es häufig, dass sich Fans ihre Selfies ganz ungefragt abholen.
Die „Downton Abbey“-Darsteller Allen Leech (alias Tom Branson) und Rob James-Collier (Butler Thomas) erzählten unlängst in einem Interview, es komme immer wieder vor, dass sich Fans im Pub neben sie stellen, auf den Handyauslöser drücken und sich mit einem „Cheers, Mate“ verziehen. Die beiden nehmen's (noch) mit Humor. Kirsten Dunst macht jedenfalls einen Punkt, wenn sie uns sagen will, dass wir vor lauter Selbstdarstellungssucht in sozialen Netzwerken nicht die unglaublichsten Momente im realen Leben vorüberziehen lassen sollen. Paradox ist nur, dass sie uns das ausgerechnet mit einem Kurzfilm sagt, der nun in sozialen Netzwerken rauf- und runtergespielt wird. https://vimeo.com/106807552
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