Nie hätte ich gedacht, dass ich das zu meiner Lebzeit noch einmal fragen muss, aber die in den letzten Tagen, Wochen, Monaten sichtbar gewordenen Einstellung von ÖVP und FPÖ zum Parlament erfordern es: Sind wir auf dem (Schleich)Weg in eine illiberale Demokratie? Und wer wird ihn versperren?
Mein Unbehagen betrifft nicht was sein wird oder könnte, sondern was war und ist. Es stammt aus der Sitzung des Nationalrates am Mittwoch; aus all den Anzeichen zuvor, dass die beiden Regierungsparteien die Volksvertretung an sich trotz aller Lippenbekenntnisse nicht wirklich ernst nehmen – jedenfalls noch weniger als dies in den vergangenen Jahren ohnehin da und dort schon sichtbar geworden ist.
Die Warnsignale sind nicht mehr zu übersehen: Das begann mit der Missachtung des Parlaments durch die Wahl einer Kurzzeit-Präsidentin. Elisabeth Köstinger als Erste Nationalratspräsidentin im Parlament zwischen zu parken bis sich ein Regierungsamt für sie auftat, war so ein Zeichen der Geringschätzung: Parteipolitik vor Staatspolitik! Das wurde aber schon so oft kommentiert, dass man es hier einfach so stehen lassen kann.
In einem zweiten parteipolitischen Streich wurde Wolfgang Sobotka in die Funktion des Ersten Präsidenten gehievt, weil es sonst keine ÖVP-interne „Verwendung“ für ihn gab. Ob er – sozialisiert in der „gelenkten Demokratie“ in Niederösterreich - ein Sensorium für latente demokratiepolitische Gefahren hat, ist jedenfalls in Frage zu stellen, wenn auch noch nicht anzuzweifeln. Es kann ja sein, dass er zu demokratischen Höchstformen aufläuft und die Kundgebung an mangelndem Vertrauen mit 61 Prozent Zustimmung bei seiner Wahl als Aufforderung zum Beweis des Gegenteils sieht. Immerhin hat er in seiner Rede einen Demokratie-Satz untergebracht: "Demokratie ist eines der höchsten Güter, die es zu schützen gilt in allen Fragen". Demokratie ist allerdings nicht “eines” der höchsten Güter, sondern das höchste Gut. Um einen Gemeinplatz zu bemühen: Demokratie mag nicht alles sein, aber ohne Demokratie ist alles nichts.
Das Unbehagen allerdings steigerte sich mit der Wahl von Anneliese Kitzmüller zur Dritten Präsidentin ins Unerträgliche. Die Zustimmung Sebastian Kurz zu ihrer Kür und die der ÖVP-Abgeordneten zu ihrer Wahl ist wahrscheinlich beunruhigender als die Tatsache, dass Kitzmüller sich am ultra-rechten Rand herumtreibt. Der ehemals staatstragenden ÖVP ist offenbar jede Sensibilität abhanden gekommen, sonst hätten ihre Vertreter nie und nimmer jemanden mit deutschnationalen Verbindungen in ein so hohes Amt hieven dürfen. Dass sie elf Stimmen weniger bekommen hat als Schwarz-Blau gemeinsam Mandatare haben, ist nicht wirklich beruhigend.
Wenn das nicht ein Alarmzeichen genug wäre, kommt noch die Einsetzung von Wiens Ex-Vizebürgermeister Johann Gudenus als Klubobmann der FPÖ hinzu. Sie ist einerseits eine bewusste Provokation des Bundespräsidenten, weil dieser ihn von vornherein von einer Minister-Bestellung ausgeschlossen hatte. Andrerseits ist sie aber auch ein Zeichen der Verachtung für den Nationalrat. Jemand, der für die Regierung nicht geeignet ist, soll offenbar für das Parlament gut genug sein? Mehr Verhöhnung ist nicht denkbar. Das ganze Gerede, man wolle Gudenus eine bundespolitische Bühne für die Gemeinderatswahl in Wien bieten, ist nichts als eine Nebelwand für die demokratiepolitische Verachtung, die dahinter steckt. Verharmlosung als Taktik, öffentliche Apathie als Ziel.
Die Zusammenschau der Entscheidungen rund um diese Regierungsbildung und die Tatsache, dass Sebastian Kurz offenbar jedes Gefühl für eine Stärkung und nicht Schwächung der Demokratie fehlt, ist alarmierend: Beide Sicherheitsministerien, Innen und Verteidigung, in der Hand von FPÖ-Vertretern, die keine Berührungsängste mit ultra-rechten Gruppen in diesem Land haben; die Geheimdienste in der Hand dieser FPÖ-Vertreter und eine Berichtspflicht auch an Heinz Christian Strache als Feigenblatt zur Beruhigung Alexander Van der Bellens; Ultra-Rechte in Spitzenfunktionen des Nationalrats; die Rückkehr der Burschenschafter en masse ins Parlament, die noch weniger repräsentativ für Österreichs Wählerschaft sind als die Bauern; ein Vertreter der dubiosen Internetplattform „unzensuriert.at“ mit Hang zur Stärkung der FPÖ-Politik und zur Verbreitung von unbestätigten Meldungen als Kommunikationsexperte im blauen Innenministerium Herbert Kickls; der immer deutlichere Wille dieser Regierung, Informationen an die Öffentlichkeit zu kontrollieren und wahrscheinlich vieles mehr, das sich vorerst hinter den Kulissen abspielt, ergibt in Summe den Willen zur Aushöhlung der demokratischen Institutionen.
Das Bild mit dem Weg zur illiberalen Demokratie nimmt Konturen an. Was versteht man überhaupt darunter: Eine autoritäre Ausprägung der klassischen repräsentativen Demokratie, in der Politiker zwar durch Wahlen an die Macht kommen, danach aber ihre Mehrheit nützen, um Freiheiten einzuschränken und sich über Grundrechte hinwegzusetzen. Der institutionelle Rahmen bleibt. Die Einschränkung der politischen Freiheiten sollen vorerst unbemerkt bleiben. Hinter einem freundlichen Gesicht verbergen sich autoritäre Züge.
Es wird an Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen liegen, hellwach zu bleiben und nicht phasenweise vor sich hinzudämmern. Es wird an der SPÖ liegen, aus ihrem politischen Koma zu erwachen und die Rolle der Opposition im klassischen, nicht im apathischen, Sinn auszufüllen. Und es wird an den Medien liegen, sich nicht einschläfern oder einkaufen zu lassen.
Die erste Sitzung des Nationalrates am Mittwoch gibt nicht den geringsten Anlass zu Optimismus. Es soll nur später niemand sagen, man hätte das Bild nicht sehen und nichts ahnen können.
geralt