In vier Jahrzehnten Innenpolitik hab ich mich immer wieder gefragt, warum genau in Österreich politische Ereignisse, Vorfälle, Handlungen ab einem gewissen Punkt meist in einer Farce enden. Das erste Mal wurde mir dieser Hang zum Lächerlichen 1978 bei der damals durchaus ernsten und notwendigen Diskussion um ein mögliches Endlager für den Atommüll bewusst. Immerhin sollte das Atomkraftwerk Zwentendorf ja demnächst in Betrieb gehen. Wochen-, wenn nicht monatelang prallten alle Für und Wider aufeinander. Im Februar soll der Bürgermeister von Alberndorf im Weinviertel angeboten haben, in seiner Gemeinde eine Deponie zu errichten. Er bekam Morddrohungen. Der kolportierte Name damals: Bürgermeister Weinwurm.
Das kann man nicht erfinden. Alberndorf und Weinwurm standen eine Zeit lang im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei ging es damals weder um den Ort, noch den Politiker, ja nicht einmal um das sündteure betriebsfertige Kernkraftwerk, sondern darum, der Regierung Bruno Kreiskys nach der neuerlichen absoluten Mehrheit 1975 eine Niederlage zu verpassen. Ob Alberndorf überhaupt auch nur annähernd in Betracht zu ziehen wäre, spielte keine Rolle. Zu diesem Zeitpunkt waren aus den Atombefürwortern ÖVP und Industriellenvereinigung schon längst Kernkraftgegner geworden und aus den Skeptikern in der SPÖ Befürworter.
40 Jahre später, also gerade jetzt, Farce in Serie. Rückwärts abgespult in zeitlicher Reihenfolge einmal der jüngst angekündigte Rückzug Frank Stronachs aus Österreich. So lange ist es noch nicht her, dass Stronach in Österreich als der „reiche Onkel“ aus Übersee hofiert wurde. Wer immer Geldbedarf hatte, wollte in seiner Nähe sein; wer immer sich etwas von ihm versprach, hoffte auf das Füllhorn des austro-kanadischen Millionärs. Da war das Mega-Kugel-Projekt in Ebreichsdorf. Das Entertainment-Projekt "World of Wonder" sollte zunächst 140 Meter, dann 80 Meter hoch sein. Daraus geworden ist nichts, was seine Vasallen dem Verhinderungsgeist der Österreicher zuschrieben.
Den Farce-Charakter hat die „Kugel“ aber nicht wegen Stronachs Fantasie erworben, sondern wegen der Goldgräber-Stimmung rund um sie. Was haben sich so manche Niederösterreicher nicht alles davon versprochen. Dann kam die überdimensionierte, nach amerikanischem Muster top ausgestattete, Rennbahn mit Entertainment- und Restaurant-Teil. Auch das ein Flop, der ohne Käufer mitten in der niederösterreichischen Landschaft vor sich hin verfallen wird.
Wieder ist der Geldgeber nicht im Mittelpunkt der Farce, denn Stronach kann sein Geld verschleudern, wo und wie er will. Wieder ist es die Behandlung des Unternehmers durch die Österreicher, ihre Zuschreibung seiner unendlichen Finanzquellen und all des Segens, den er damit über Land und Leute bringen werde. Man kennt das Phänomen aus der Literatur: Da taucht einer auf und in einer Art Massenpsychose werden ihm Kräfte und Leistungen zugeschrieben, die er so nie erfüllen kann.
Und wie war das bei seinem politischen Engagement 2013. Monatelang glaubte ein Gutteil der Medien, Stronach werde die österreichische politische Landschaft völlig neu gestalten. Zu Beginn des Wahlkampfs war der Glaube daran und seine Popularität ziemlich ungebrochen. Da taucht einer auf . . . Erst als die TV-Auftritte immer skurriler wurden, verhallte das Echo auf seinen Anspruch, er werde das österreichische System revolutionieren.
Geblieben ist der Magna-Konzern, eine Erfolgsgeschichte für die Wirtschaft der Steiermark. Hätte das nicht genügen können? Musste der alte Herr mit immer neuen Begehrlichkeiten nach seinem Geld, mit Unterwürfigkeit und Lobhudelei auch noch in den Fußball, die Fußball-Akademie, die Kandidatur, die Fehlinvestitionen rund um Ebreichsdorf getrieben werden? Bis der “reiche Onkel” jetzt wieder abzieht.
Dann die Posse in ihrer reinsten Form, wie sie Johann Nepomuk Nestroy für Österreich erfinden hätte können, rund um die Abhöranlage im Büro des neuen Vizekanzlers Heinz Christian Strache (FPÖ). Sie muss man sich nicht einmal in Erinnerung rufen, sie ist erst ein paar Tage her. Die Aufregung war groß, der Hang zur Verschwörung auch. Und dann stellt sich heraus, dass es um ein paar lose Kabel ging, die irgendwo im Nichts endeten. Aus der „Wanze“ wurde eine „Ente“, wie „Die Presse“ titelte. Nun könnte man meinen, diese eine „Wanze“, mit der sich die FPÖ nun eine Blamage ersparen könnte, werde sie wohl noch selbst via „blaue“ Ministerien irgendwann in nächster Zeit im Büro unterbringen können, um sie dann doch zu finden. Da werden Heerscharen von Spezialisten unverrichteter Dinge schon wieder abgezogen sein. Der Fall des großen Ausspionierens der neuen Regierungspartei mit eindeutigem Opferpotential für die Freiheitlichen stellt sich entweder als elektrotechnischer Pfusch einer vergessenen Verbindung in den Sitzungssaal des Nationalrats oder politische Stümperei heraus. Auch das muss man erst einmal erfinden: Ein Kabelsalat als staatsgefährdendes Sicherheitsrisiko!
Und dann noch die Klamotte um eine Burschenschaft in einer mittleren Provinzstadt, eine Liederfibel, eine Regionalwahl und ein bis vor kurzem völlig unbekanntem Politiker namens Udo Landbauer im Zentrum der Aufmerksamkeit. An Landbauer scheiden sich die Geister der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johann Mikl-Leitner, des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, des Vizekanzler Heinz Christian Strache – und aller anderen darunter. Was wird aus Udo Landbauer, sollte tatsächlich eine wichtige Frage sein? So wie die Haltung Weinwurms zum Atommüll in Alberndorf?
Das Positive an dem Landbauer-Klamauk könnte das Scheinwerferlicht sein, das nun auf die Vorgänge in den Burschenschaften gerichtet wird – wenn es nicht, wie in den vielen anderen Fällen in Österreich ohnehin nicht wieder bald abgeschaltet wird. Vielleicht kümmert sich dann jemand um die Frage, wie es denn sein kann, dass wir 2018 nach der Antisemitismus-NS-Aufregung der siebziger Jahre (Stichwort Wiesenthal-Affäre), dann der 80ziger Jahre mit Kurt Waldheims Vergangenheitsqual, dann der Jerusalem-Rede von Franz Vranitzky, dann der Aufregung um Schwarz-Blau 2000 jetzt 18 Jahre später noch immer die gleichen braunen Flecken in der FPÖ diskutieren; dass diese noch immer wochenlang den politischen Diskurs bestimmen können? Wieder werden keine ganzen Sachen gemacht werden. Und in einiger Zeit fängt alles von vorne wieder an.
Die Antwort auf die Frage nach der Liebe des politischen Österreichs zur Farce lässt sich also spätestens jetzt leicht beantworten: Die politische, mediale und zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit konzentriert sich meist blitzschnell auf Symptome, um sich die Erforschung der Ursachen zu ersparen.
Das wird verständlich, wenn man als Symptom das „Anzeichen einer Entwicklung“ versteht. Am Beispiel der Burschenschaft „Germania“ und ihrer Liederfibel heißt das, die ganze Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Lieder und die Empörung, dass ein solches Buch noch 1997 gedruckt werden konnte. Die Beschwichtiger wiederum halten dagegen, dass Landbauer nicht gesungen und/oder gar nichts gewusst hat. Hat er? Hat er nicht? Wenn ja, hat er was gesungen? Konnte er gar nicht weil schlechter Sänger? Wie grotesk ist denn diese Diskussion?
Mit anderen Worten: Mit dem Hang zur Symptom-Debatte erspart man sich in Österreich die eingehende Beschäftigung mit den drohenden Entwicklungen, für die Symptome eben nur ein Anzeichen sind. Was könnte ein moderner Nestroy nicht alles daraus machen?
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