Es gibt Zeiten, da scheint es zwischen verschiedene Meldungen auf den ersten Blick keinen Zusammenhang zu geben. Erst bei genauerer Betrachtung kann man die verschiedenen Punkte verbinden und hat plötzlich ein ganz anderes Bild.
Jetzt sind solche Zeiten: Aus Kanada und den USA werden drei Selbstmorde gemeldet – angeblich im Kontext des Hacker-Angriffs auf das Seitensprung-Portal Ashley Madison. In den USA wurde Josh Duggar, Mitglied der Reality Show „19 Kids and counting“, als „größter Heuchler aller Zeiten“ (Selbstdefinition) entlarvt, nachdem sein Name in den Daten von Ashley Madison aufgetaucht war. In Österreich sollen etwa 80.000 Kunden das Portal benutzen. Wahrscheinlich wegen des delikaten Geschäftsmodells ist bis jetzt eine Debatte über Netzfreiheit unterblieben.
Und dann: In Österreich wird der Chefredakteur des „Falter“, Florian Klenk, mit Schüssen ins Knie bedroht, weil er das Video eines Polizeiübergriffs am Wiener Praterstern veröffentlicht hat. Und kaum jemand regte sich auf.
Und dann: In Deutschland wurde die Sendung „Hart aber Fair“, ausgestrahlt im März, zum Thema „Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn“ von Frank Plasberg nach Protesten in der Videothek in einer Art Selbstzensur gelöscht.
Und dann: In Spanien wurde im Juli ein „Gesetz zum Schutz der Bürger“ verabschiedet, das von Kritikern als „Knebelgesetz“ bezeichnet wird, weil es jede kritische Meinung zum Verhalten von Sicherheitskräften unter Strafe stellt. So wurde eine Frau, die das Bild eines Polizeiautos auf einen Behindertenparkplatz ins Internet gestellt hat, zu 800 € Strafe verurteilt.
Und dann: In Ungarn setze die Regierung laut Berichten ihre eigene restriktive Vorstellung von Pressefreiheit mittels Massenentlassungen und politischen Druck durch.
Und dann: In Deutschland wurde gegen die Journalisten von Netzpolitik.org wegen Landesverrat ermittelt, weil sie über Pläne des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur stärkeren Überwachung von Online-Netzwerken berichtet und vertrauliche Unterlagen veröffentlicht hatten.
Das Bemerkenswerte selbst an dieser kleinen Auswahl der letzten Tage und Wochen: Wenn es um glamouröse Fälle im Internet wie Wikileaks oder Edward Snowden geht, bricht die Diskussion um Presse- und Meinungsfreiheit, voll aus. Wenn sich aber weniger spektakuläre Fälle von Einschränkung und Behinderung häufen, werden sie als Einzelfälle behandelt und übersehen, wie sehr neue Technologien zum Komplizen eines Anschlags auf die Pressefreiheit werden.
Ein wenig Einschränkung da, ein wenig Einschüchterung dort, was soll’s? Die Mehrheit der Bürger glaubt sich nicht betroffen. Wenn die Zensurversuche auf allen Ebenen aber eine kritische Masse erreicht haben werden, wird sich das Internet in sein Gegenteil verkehren, vom Segen der unbegrenzten Kommunikation zum Fluch der Begrenzung von Freiheit. Dann wird es seine Kinder fressen.
Wenn wir eines Tages aufwachen und erst dann das ganze Bild sehen, wird es vielleicht schon zu spät sein.