Jung, männlich, gut aussehend, eloquent und populär: Wer mit diesen Attributen ausgestattet in der österreichischen Politik rasch in Spitzenpositionen landet, der läuft früher oder später – eher früher wie die Beispiele zeigen – Gefahr, sich seine ganz eigene Realität zurecht zu zimmern. Dann glaubt er sich im Besitz der Wahrheit, fühlt sich ziemlich rasch anderen überlegen und wähnt sich am Ende unangreifbar.

Das war in den siebziger Jahren bei Hannes Androsch so. Als bewunderter Jungstar der Regierungen Kreisky I und II kam dem damaligen Finanzminister, der heute die Rolle des besorgten Elder Statesman angenommen hat, im Laufe von etwa fünf Jahren völlig das Gefühl abhanden, was er sich punkto Lebensstil und kreativer Finanzgestaltung im privaten Bereich leisten konnte und was nicht. Das Ende seiner Karriere ist bekannt.

Das war ab 2000 bei Karl Heinz Grasser (KHG) so. Über ihn sagte einmal ein Gefährte des kurzen gemeinsamen Weges: Es hätte nur noch gefehlt, dass „die Leute ihm ihr Baby zur Segnung hinhalten“. So sehr sei er angehimmelt worden. Jedenfalls war nicht aufgefallen, was Grasser später selbst zu seiner Entlastung in Sachen angeblicher Steuerhinterziehung ins Treffen geführt hat: Dass er steuerlich eher „unbelegt“ war. Ein Offenbarungseid für einen Finanzminister!

Und das ist jetzt bei Sebastian Kurz so. In den letzten Wochen und Tagen, so heißt es in der ÖVP, habe sich gezeigt, dass Kurz – unangefochten an der Spitze der Popularitätswerte in den Umfragen – jeden Ansatz von Selbstzweifel an seiner Sicht der Dinge verloren hat. Dass er dabei die Flüchtlings- und EU-Politik der Regierung mit starken Aussagen konterkarierte und anderen Staaten Zensuren und der Welt Ratschläge erteilte, was vielleicht nicht so sehr im Interesse Österreichs ist - was soll’s? Es ist nicht bekannt, dass Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner ihn umgehend zum Rapport gerufen hätte.

Kurz, so lautet eine Version in der ÖVP, habe die Zuschreibungen „Jungstar“ und „Hoffnungsträger“ schon so verinnerlicht, dass ihm sein abgehobenes Verhalten als Minister und ÖVP-Politiker schon gar nicht mehr auffalle. Wenn dem so ist, dürfte er mit zwei Blog-Einträgen der letzten Zeit wenig Freude gehabt haben. Johannes Huber glaubt ihn in diesubstanz.at durchschaut zu haben und der ORF-Journalist Stefan Kappacher in seinem Online-Blog.

Alle drei genannten Politiker verbindet das, was man als KHG-Syndrom beschreiben kann. Dabei sind sie gar nicht Verursacher des so benannten Realitätsverlusts, sondern die Menschen, mit denen sie zu tun haben. Das sind zum einen die Beamten der Ministerien und die Mitarbeiter, zum anderen und vor allem die Bürger.  Wer in jungen Jahren in Spitzenpositionen in der Politik aus  welchen Gründen immer katapultiert und dann so umschwärmt wird wie seinerzeit Androsch, dann Grasser und jetzt eben Kurz, der muss schon eine außergewöhnliche Charakterfestigkeit haben, um die Schmeicheleien als das zu durchschauen, was sie sind.  Man denke nur daran, dass sowohl Androsch als auch Grasser landläufig als der „Traum“ aller Schwiegermütter gehandelt wurden. Und jetzt eben Kurz. Was anderes fällt den Medien offenbar nicht ein.

Das heißt: Wenn Politikern dieses Typs rasch die Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstreflexion abhanden kommt; wenn sie ab einem gewissen Punkt das Gespür  dafür verlieren, dass die erlebte Unterwürfigkeit der Position und nicht der Person gilt, dann liegt das hauptsächlich an der Gesellschaft, in der sie sich bewegen.  Kein Wunder wenn sie dann den Jubel für echt und sich selbst über kurz oder lang für fehlerlos, wenn nicht unfehlbar, halten.

Weniger Adoration und mehr kritische Distanz hätten Androsch vielleicht eine lange politische Karriere ermöglicht, Grasser so manche Versuchung als Finanzminister erspart – und würden Kurz sicher helfen.

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