Es ist immer das Gleiche in Österreich: Jahrelang wird versäumt, das Notwendige zu tun und dann bricht auf einmal Hektik und Hysterie aus. Die Lösung, die dann gefunden wird, ist unklar, verworren und auf keinen Fall allgemein verständlich, worauf sie je nach Standpunkt unterschiedlich interpretiert werden kann – bis zur nächsten Aufregungswelle.
Am Beispiel des sogenannten Kopftuchverbots und Neutralitätsgebotes lässt sich das leicht demonstrieren. Kopftuchverbot ist ja noch allgemein verständlich, das im rot-schwarzen Regierungsabkommen diese Woche enthaltene Neutralitätsgebot schon nicht mehr. Man teste den Begriff einmal ab. Jede Wette, dass die meisten Menschen dabei an Österreichs Neutralität denken, immerwährend oder bereits überholt, militärisch oder politisch. Sie denken vielleicht auch noch an den Nationalfeiertag am 26. Oktober, sicher aber nicht an Kopftuch und Kreuz.
Jahrelang haben vor allem die Verantwortlichen in Wiener Schulen vergeblich darauf gedrängt, den Unterricht moslemischer Religionspädagogen stärker zu kontrollieren. Man wollte wissen, was dort eigentlich vermittelt wird, durfte den Unterricht aber nicht einfach so „inspizieren“. Manche Direktoren griffen auf alle möglichen Tricks zurück, um bei unangemeldeten Besuchen in Klassen zu erfahren, in welcher Sprache dort eigentlich unterrichtet wurde.
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Und jetzt soll das Kopftuchverbot plötzlich Terror verhindern und Integration fördern? Nur weil man irgendwie mit Symbolen Aktivität vermitteln möchte.
Welcher normale Bürger kann sich unter folgenden Formulierungen wirklich etwas vorstellen: „Der Staat ist verpflichtet, weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten. In den jeweiligen Ressorts wird bei uniformierten Exekutivbeamten sowie RichterInnen und StaatsanwältInnen darauf geachtet, dass bei der Ausübung des Dienstes dieses Neutralitätsgebot gewahrt wird.“ Das Binnen-I ist übrigens überflüssig weil Richter/Staatsanwälte moslemischen Glaubens wohl keine Kopftücher tragen und es ein Bartverbot noch nicht gibt, Anm.)
Oder der rührende Versuch einer Erklärung von Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) : "Wir sind uns in der Bundesregierung hundert Prozent einig, dass wir dazu stehen, dass Österreich ein liberaler Rechtsstaat westlicher Prägung ist und eine westlich orientierte Demokratie, und im Auftreten der staatlichen Autorität kann das Tragen von religiösen Symbolen einem gewissen Neutralitätsgrundsatz entgegen stehen". Es gehe nicht nur ums Kopftuch, sondern auch um andere religiöse Symbole.” Heißt das also, dass auch keine Halsketten mit christlichen oder jüdischen Symbolen sichtbar getragen werden dürfen? Und keine Kipa? Und kein Turban? Kein Wunder, dass keine zwei Tage nach der Beschlussfassung wieder die unterschiedlichsten Interpretationen kursieren. Die Sache wird wieder so verwaschen ausgehen, dass die „Lösung“ entweder gar nicht lückenlos durchgesetzt oder von Zeit zu Zeit neuen Streit auslösen wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem Verbot der Ganzkörperverschleierung, also der Burka, die das Straßenbild in Österreich nicht wirklich auffallend prägt, oder des Niqab, den man vor allem in den Sommermonaten bei Touristinnen aus dem arabischen Raum sieht. Hier scheint das allgemeine Verbot im „öffentlichen Raum“, also auf Plätzen und Strassen, sowie die Strafe von 150 € besonders kurios. 150 € haben ja bekanntlich bei diesen meist wohlhabenden Touristinnen eine prohibitive Wirkung, nicht wahr?
Jahrzehntelang kamen verschleierte Frauen und ihre Familien nach Österreich, waren vor allem auch in Wien in großen Gruppen zu sehen. Niemand nahm daran Anstoß. Mehr noch, man freute sich über die zahlungskräftigen Kunden. Gut, das war noch in der Zeit als Terror noch nicht mit Islam in Verbindung gebracht wurde.
Aber auch danach, jüngst also, überschlugen sich manche Orte wie etwa Zell am See in ihrem Bemühen, sich den arabischen Gästen so anzupassen wie seinerzeit in den sechziger und siebziger Jahren den Gästen aus Deutschland mit Sahne und Eisbein auf den Speisekarten. Diese wurden jetzt eben auf Arabisch abgefasst. Man stellte getrennte Essräume für Männer und Frauen zur Verfügung und was sonst noch alles notwendig war, damit sich die Gäste „wie zu Hause“ fühlten – wenn auch angenehm kühler und erfrischender.
Auch da ist es immer das Gleiche in Österreich: Auf der einen Seite übertrieben willfährig, auf der anderen Seite gedankenlos verbotssüchtig. Natürlich hat die Terrorgefahr alles verändert, aber dass ein Stück Tuch, an dem man seit Jahrzehnten nichts Anstößiges gefunden hat, jetzt Angst und Schrecken verbreiten und die Zukunft verdüstern soll, scheint doch einigermaßen ausufernd.
Wie gesagt, immer das Gleiche: Entweder nachlässig und gleichgültig oder aufgeregt und überreizt. Ein vernünftiger und gelassener Mittelweg ist offenbar nicht möglich. Jeder Versuch in der Politik, doch einen zu finden, endet dann in schwammigen Regelungen, die zur Beruhigung langfristig gar nichts beitragen und das Thema auch nicht von der Agenda nehmen.