Es könnte sein, dass sich akut mein sogenannter „senior moment“, also die Gedächtnisschwäche aus Altersgründen, über Jahrzehnte ausdehnt, wahrscheinlich ist es nicht. Wie auch immer, ich kann mich nicht erinnern, in den letzten vier Jahrzehnten ein derartiges Theater um Kandidaturen zur Wahl eines Staatsoberhaupts in Österreich miterlebt zu haben. Despektierlich könnte man auch von einem Affentheater schreiben.

Tu felix Austria. Während global beinahe im 24-Stunden-Takt eine Krise nach der anderen ausbricht – von dem brandgefährlichen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten im Mittleren Osten über die schockierenden Übergriffe in Köln in der Silvesternacht, die Krise der Wirtschaft in China mit noch nicht absehbaren Konsequenzen für die Weltwirtschaft bis zum Test einer Wasserstoffbombe in Nordkorea – hält Österreich den Atem an: Wer wird um die Hofburg (wah)kämpfen?

Einmal ganz abgesehen von der – global betrachtet – gegen Null tendierenden Bedeutung dieses Urnengangs, sind die Vorzeichen auch im engen österreichischen Rahmen heuer mehr als kurios:

Da baute die ÖVP wochenlang und in den letzten Tagen mit einem Crescendo an Interviews Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll als Kandidaten auf, ließ dieser die Interpretation jedes Halbsatzes als Anzeichen für eine Kandidatur zu, nur um ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner im ZIB 2 Interview verkünden zu lassen: Er wisse schon seit einiger Zeit, dass Pröll bei seiner ursprünglichen „Lebensplanung“ fern der Hofburg in Wien bleibt.

Stunden zuvor hat er noch kryptisch erklärt, er kenne Prölls Entscheidung, sage aber noch nichts, man möge sich gedulden – was prompt als Ankündigung bei der ÖVP-Sitzung am Sonntag interpretiert worden ist. So nach dem Motto: Bitte ich weiß was, aber ich sage nichts. Donnerstag Nacht im ORF wusste Mitterlehner vielleicht auch schon, wen er am Sonntag vorschlagen werde, aber er sagte noch immer nichts.

Nachdem Mitterlehner also nach eigenen Worten schon seit einiger Zeit die Absage Prölls kannte, erhebt sich die Frage, warum die ÖVP dann die Landeshauptleute Wilfried Haslauer, Hermann Schützenhöfer, Josef Pühringer und den Chef des Seniorenbundes, Andreas Khol, mit Ergebenheitsadressen an Pröll und Loblieder über ihn als Kandidaten ausrücken ließ. Hat die Partei keine interne Kommunikation? Sich freiwillig eine solche Blamage einzuhandeln, gehört schon zu den besonderen Gustostücken parteipolitischer Taktik. Das muss man einmal zusammenbringen.

Die Blamage aller Medien, die in den letzten Tagen vor dem „Großereignis“ einer Pröll-Kandidatur hyperventilierten, kann der ÖVP gleichgültig sein. Das desaströse Bild, das sie mit diesem neuerlichen Kommunikationsgau lieferte, weniger. Von Mitterlehner abwärts stehen jetzt alle desavouiert da.

Sie haben es geschafft, jeden Kandidaten oder jeder Kandidatin, die sie am Sonntag präsentieren, von vornherein den Makel oder den Stempel der zweiten Wahl aufzudrücken. Jedes Interview wird diese Frage beinhalten. So sehr in der Defensive hat noch kein ernst zu nehmender Anwärter auf das höchste Amt einen Wahlkampf begonnen. Auch das eine Meinsterleistung!

Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass es sich bei der überraschenden Festlegung Mitterlehners im ORF vielleicht um eine ganz besonders clevere taktische Finte der ÖVP handeln könnte – und sich Pröll am Sonntag von der Partei, die ihm laut Khol ohnehin „zu Füssen liegt“, beknieen und gegen seinen erklärten Willen doch noch als Kandidat „rekrutieren“ lässt. Der Partei zuliebe und auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin – das kommt in einer Zeit steigender Parteiverdrossenheit als toller Start in einen Wahlkampf sicher nicht gut. Außerdem hat Pröll sicher triftige Gründe, warum er Niederösterreich nicht verlassen und sich ins gleißende Licht eines Präsidentenwahlkampfs stellen möchte.

Fehlt jetzt nur noch, dass Alexander van der Bellen den Grünen absagt, nachdem er in seinem Buch ziemlich schlüssig argumentiert hat, warum das höchste Amt nichts für ihn ist und er es sich eigentlich nicht antun will. Dann steht die nächste Partei mit jemanden, der nur zweite Wahl ist, da.

Dann wird die SPÖ tatsächlich glauben, Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der Schutzherr der Wiener Gemeindebediensteten und ihrer Privilegien, könnte jenseits von Linz wählbar sein.

Was das ganze Theater über die ÖVP aussagt, wissen wir jetzt. Was die einzige Wahl des Jahres 2016 über das Land aussagt, werden wir spätestens im April wissen.

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