Ein dreijähriges Mädchen steht verlassen am Rande eines Flüchtlingslagers, irgendeines, irgendwo. Eine Frau nähert sich dem Kind, spricht mit ihm, umarmt es, beruhigt es, erfährt, dass es von der Familie getrennt wurde – und nimmt es mit. In die Geborgenheit, wie das Kind vielleicht glaubt. In Wahrheit aber in das Trauma pädophiler Ausbeutung.
Die Szene ist frei erfunden, könnte sich aber in einem der überfüllten Flüchtlingslager so abspielen oder abgespielt haben. Seit langem ist bekannt, dass Menschenhändler dazu übergegangen sind, Frauen einzusetzen, auch bei viel älteren Opfern. Gegen Geld. Frauen sind weniger bedrohlich, Frauen können Vertrauen gewinnen. Das ist alles nicht neu.
Schon im Vorjahr schlug Europol Alarm: Mindestens 10.000 minderjährige Flüchtlinge seien spurlos verschwunden. Die Salzburger Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt sprach laut ORF aus, was die Behörden in Österreich und anderen EU Staaten seit längerem wissen: Diese Kinder und Jugendlichen sind leichte Beute für Menschenhändler. Wie viele von den Kindern in der pädophilen Sexindustrie landen? Wie viele von den Minderjährigen in der Prostitution? Und wie viele im modernen Sklavenhandel? Mit der Behauptung, man könne es nicht wissen, weil doch einige der verlorenen Kinder vielleicht bei Verwandten untergekommen sind, dient wohl nur zur Beruhigung des eigenen Gewissens.
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Und jetzt also wieder eine Tagung, wieder viele Worte, wieder noch mehr Forderungen. Dieses Mal am Mittwoch in Linz. Eine Fachtagung „Lost in Migration“ über jene Tausenden Kinder und Jugendliche, die seit der Flüchtlingswelle 2015 in Europa einfach verschwunden sind. Unauffindbar, nennen das die Experten der Jugendämter.
Wirklich? Eine Recherche im vergangenen Jahr ergab, dass die Jugendämter in Österreich auf das Verschwinden von jungen Flüchtlingen relativ gelassen reagieren: Ein Fall für die Betreuung weniger, Akten geschlossen.
Wie konnte das passieren? Die EU hat seit geraumer Zeit eine eigene Task Force gegen Menschenhandel, Österreich übrigens auch. Und da war es nicht möglich, unbegleiteten Kindern und Teenagern einen besonderen Schutz zu gewährleisten? Diese wenigstens so zu registrieren, dass man ihr Verschwinden dokumentieren und womöglich nachvollziehen konnte? Wenn nur vage von irgendwelchen Zahlen gesprochen wird, weil man keine genauen Daten erfasst hat, bleibt das Ausmaß des Problems verborgen.
Schlepper, so hieß es auch in Linz, würden Minderjährigen raten, ihr wahres Alter nicht anzugeben, damit sie nicht unter besondere Betreuung fallen. Dann sei der Kontakt mit ihnen später leichter. Und wieder wurde auch in Linz mehr Betreuung für minderjährige Flüchtlinge und Schutzzonen für Frauen mit Kindern gefordert. Das sollte eigentlich alles schon realisiert sein, denn das Problem der verlorenen Kinder ist nicht erst jetzt aufgetaucht.
Man könnte sagen: Eine Tagung ist besser als keine. Aber jetzt erst „einen kontinuierlichen behörden- und organisationsübergreifenden Austausch zu fordern und für das Problem zu sensibilisieren, ist doch etwas zynisch.Noch zynischer ist vor diesem Hintergrund und in diesem Zusammenhang aber der lächerliche Koalitionskonflikt um die Aufnahme von 50 + 2.000 minderjährigen Flüchtlingen in Österreich.
Gerald Tatzgern, der engagierte Kämpfer gegen Menschenhandel von der Zentralstelle für Bekämpfung des organisierten Schlepperkriminalität und des Menschenhandels in Österreich, sollte das Gespräch mit seinem burgenländischen Polizeikollegen Hans Peter Doskozil,derzeit Verteidigungsminister,suchen und wiederholen was er in Linz erneut gesagt hat: Unbegleitete minderjährige Flüchtlingen seien besonders „anfällig“ für Ausbeutung durch Menschenhändler. Wie auch nicht? Traumatisiert, auf sich allein gestellt, oder gar verantwortlich für ein noch jüngeres Geschwister, verloren in einer fremden Kultur sind diese Minderjährigen sicher bereit, allen Versprechungen zu glauben und sich einen Erwachsenen anzuvertrauen.
Im Grunde ist die Frage, wie konnte das passieren, leicht zu beantworten: Seit 17 Jahren gibt es das UN-Protokoll gegen Menschenhandel. Seither ist das Milliarden Geschäft nicht geringer geworden. Im Gegenteil. Jede Krise – Flucht vor Krieg, Flucht vor Hunger, Flucht aus der Familie aus irgendwelchen Gründen – ist im Endeffekt die Brutstätte für noch mehr Menschenhandel, noch mehr Sklaverei, noch mehr Geld. Das alles wissen UNO, EU und einzelne Staaten seit langem. Es werden auch Unsummen an Geld ausgegeben – nur ohne Wirkung. Das Geschäft mit der Ware Mensch blüht. Es fehlt der politische Wille und oft auch der Wille der Justizapparate, mittels abschreckenden Urteile für Menschenhändler das Geschäft wirklich zu stören.
Man darf es sich auch nicht so vorstellen, dass dunkle Gestalten und erschreckend aussehende Mitglieder des organisierten Verbrechens, Kinder und Jugendliche in Nacht- und Nebenaktionen „entführen“. So läuft das nicht, sondern über die freundliche Frau, das junge Mädchen, den vertrauenserweckenden älteren Mann. Vom Verkauf eines einzigen Menschen „profitiert“ die ganze Verbrechenskette.
Das alles hätte in Europa niemanden überraschen dürfen. Man hätte es 2015 bei der ersten großen Flüchtlingswelle schon bedenken können und Minderjährige entsprechend schützen müssen. Wenigstens sie!
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