Der Krieg der anderen

Es war ein strahlend schöner Herbsttag, dieser 12. September 2001 in New York. Der Himmel tief blau, die Bäume am Union Square in den schönsten Farben des Indian Summer. Am Rande der Menschenmenge, die sich dort versammelt hat, werden Zeitungen verkauft. Auf den Titelseiten der Massenblätter meist nur drei Buchstaben: „War“ - am Tag nach nach dem 11. September, dem Tag nachdem die beiden Türme des World Trade Centers unter der Wucht der Attentate in sich zusammen gestürzt sind.

Es dauert nicht nur eine Schrecksekunde, nicht nur Schreckstunden, sondern einige schreckliche Tage bis man begriff: Es ist nicht der Dritte Weltkrieg, der hier ausgerufen wurde. „War“, Krieg, hat für Europäer eine andere Bedeutung als für Amerikaner. Sie haben schon lange vor dem „war on terror“ den „war on drugs“ oder den „war on crime“ oder was immer, sie zu bekämpfen meinen, geführt. Krieg, das war in den Tagen nach 9/11 in New York, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg oder den Ersten, jedenfalls Weltkrieg. Erst allmählich begriff man, dass hier ein Begriff „lost in translation“ etwas ganz anderes meinte als es sich im europäischen Gedächtnis eingeprägt hat. Ein Wort, zwei Deutungen!

Und jetzt also in Europa das Gerede von „Krieg“. Das Wort geistert nicht nur durch die französischen Medien in den schrecklichen Tagen nach dem Attentat in Paris, auch durch die deutschen und die österreichischen. Auch in den Schlagzeilen. Der konservative Ex-Präsident Frankreichs Nicholas Sarkozy spricht gar von totalen Krieg („Der Krieg, den wir führen, muss ein totaler sein.“  Was für ein furchtbarer Rückgriff in die NS-Sprache. Und Papst Franziskus spricht vom „Dritten Weltkrieg“.

Gleichzeitig heißt es von allen Seiten, der Krieg gegen die islamistischen Fanatiker sei militärisch nicht zu gewinnen. Was ist dann der Krieg, den sie meinen? Frankreich, die Europäische Union, wer immer jetzt von Krieg redet und schreibt, ist verpflichtet, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Verdammt verpflichtet.

Diese Klarheit und Eindeutigkeit ist von der politischen Führung in Europa zu fordern. Von den Medien ist ein Ende der Verwirrung zu verlangen. Jetzt rächt sich nämlich die Verachtung, mit der sie seit Jahren die Politik begleiten. Denn wie, bitte, ist von genau jenen Politikern, denen man zuletzt jede nur mögliche Unfähigkeit zugeschrieben hat, genau jetzt zu erwarten, dass sie das Richtige tun? Sind denn alle verrückt geworden?

Wenn jetzt davon geschrieben wird, dass Europas Führung ohnehin zu schwach, zu unfähig, zu dekadent und hilflos ist, um der Gefahr des Terrors der Fanatiker wirkungsvoll zu begegnen, dann besorgt man ohnehin nur die Geschäfte der Terroristen. Was soll die ganze Kriegstreiberei in manchen Medien, wenn der Führung nicht zugetraut wird, den Terroristen mit der ganzen Macht – auch der militärischen – entgegen zu treten. Wird da nicht eine rote Linie zur Verantwortungslosigkeit überschritten?

Der Ton, in dem manche Beiträge abgefasst sind, ist erschreckend. Auch in Österreich. Allein, wir glauben, uns das leisten zu können. Wer in Österreich von Krieg schreibt, meint ja immer den Krieg der anderen.

In dieser Krise ist es notwendig, inne zu halten und einiges zu überdenken: Unsere Einstellung zur Politik, unsere Wortwahl und unsere Bereitschaft, Alternativen zur offenkundig erfolglosen Appeasement-Politik zu finden – und die Konsequenzen zu ertragen. Wenn wir dazu nicht gewillt sind, überschreiten wir die rote Linie zur Scheinheiligkeit.

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