Zwei Ereignisse, die absolut nichts miteinander zu tun haben, stehen doch inhaltlich in einem Zusammenhang. Das ist bezeichnend für unsere Zeit.

Vor kurzem gab der poster boy der deutschen Philosophie, Richard Precht, dem Deutschlandfunk ein Interview zur Zukunft der Arbeitswelt. Schön, dass auch er sich den Kopf darüber zerbricht. Das ist jedenfalls mehr als man über die Erfinder des Manifests der ÖVP – das zweite Ereignis – mit Hammer und Sichel zu Christian Kern und die SPÖ sagen kann. Was die beiden Ereignisse verbindet? Beide beschäftigen sich mit der Zukunft und beide sind grundlegend negativ.

Precht sieht die industrialisierte Welt auf der „Titanic“ die „Liegestühle umdekorieren“ und eine „technokratische Diktatur“ heraufdämmern, in der „digitale Supermächte“ die Macht übernehmen. Er prognostiziert, dass Menschen nicht mehr für Geld arbeiten werden können weil durch Roboter ersetzt; es keine Verbindung von Unternehmen mit Arbeitnehmer mehr geben wird und letztlich der Mensch von Arbeit „befreit“ sein wird – was immer das bedeuten mag. Zum überwiegenden Teil beschäftigt sich Precht in dem Interview mit dem, was es alles nicht mehr geben wird. Der Titel allein suggeriert schon Untergang. Das Bild von der „Titanic“ gibt von der geschichtlichen Wahrheit her keinen anderen Schluss zu. Eine Metapher ja, aber eben eine von der Unausweichlichkeit einer katastrophalen Entwicklung, menschliche Fehler inklusive. (http://www.deutschlandfunk.de/die-zukunft-der-arbeit-wir-dekorieren-auf-der-titanic-die.911.de.html?dram:article_id=385022)

Das „Rot-Grüne Manifest“ der ÖVP von Inhalt und Grafik her nach der Art der fünfziger Jahre legt den Schwerpunkt ebenfalls auf ein Untergangsszenario; auf alles, was nicht sein soll. Das entspricht mit Sicherheit Generalsekretär der ÖVP, Werner Amon, dessen Bestellung vor etwas mehr als sechs Monaten auch kein Signal an die Zukunft war. Mehr retro als Amon, mehr typisch für die Alt-ÖVP, ist heute wohl kaum jemand noch in der ehemals staatstragenden Partei. Vielleicht in seiner Denkweise noch Klubobmann Reinhold Lopatka, aber dieser entwickelt im Intrigensektor wenigstens noch einige Fantasie.

Die Kern-als-Kommunist-Broschüre gibt an zu wissen, was Rot-Grün – wofür es ohnehin keine Mehrheit im Nationalrat geben wird – alles nicht wollen werden: Leistung, Entlastung der Steuerzahler, Integrationswillen der Zuwanderer, Entbürokratisierung, Begabtenförderung, Respekt vor Werten und Traditionen und Machtverzicht. Es scheint, als hätte die ÖVP seit 1987 im Wachkoma gelegen – immer als Regierungspartei und auch in den meisten Bundesländern an der Macht. Anders machen die Vorhersagen keinen Sinn. Wieso kann eine politische Partei die überbordende Bürokratie beklagen, wenn sie seit 30 Jahren den Wirtschaftsminister stellt? Oder über zu wenig Begabtenförderung, wenn sie 20 Jahre lang das Bildungsministerium zu verantworten hatte?

Statt (Steuer)Geld via staatlicher Parteiförderung für eine Broschüre mit Stil des realen Sozialismus auszugeben, hätte die ÖVP auch ein konstruktives Manifest unter die Funktionäre bringen können – mit all ihren Vorschlägen, die sie dem – fast könnte man es vergessen – Koalitionspartner SPÖ aufdrängen wird.

Aber das scheint eben der Fluch der Zeit zu sein: Man glaubt an die Macht des Negativen. Auch bei Precht finden sich kaum Alternativen. Er gibt an zu wissen, dass es nur eine Frage der Zeit sei bis die Hälfte der Menschen (aller überall auf dem Globus?) keinen normalen Job mehr haben werden; das bedingungslose Grundeinkommen unausweichlich ist. Was diese Hälfte der Menschheit dann mit ihrem Leben anfangen wird, woraus sie den Sinn beziehen wird, wie sie sich jetzt schon darauf einzustellen hat, diese konkreten Fragen beantwortet Precht, der Liebling deutscher Talk Shows nicht. Selbst dann nicht, wenn er die Verwirklichung eines „Menschheitstraums“ ausmacht: „Die Befreiung des Menschen von der entfremdeten Arbeit. Das ist ein alter Menschheitstraum, eine positive Utopie: Arbeit als das zu definieren, worin Sie selber vorkommen und nicht als das, wofür Sie Geld kriegen.“

Klingt gut. Es ist auch das gute Recht des Philosophen, Utopien zu entwerfen, nur sollten sie in diesem Zeitalter der Massenkommunikation die Adressaten nicht alleine lassen, ohne zu sagen, wie das utopische Ziel zu erreichen sei. Da müsste er sich allerdings in die Niederungen der Bildungspolitik, der politischen Vorbereitung auf diese Utopie begeben.

So aber bleibt von seinen Ausführungen nur das hängen, wofür sich die Menschen fürchten sollten, worauf sie in Zukunft nicht mehr bauen können, worauf sie verzichten müssen. Ein demokratiepolitisch gefährlicher Zugang, denn die Vergangenheit lehrt: Je unsicherer die Zeiten, desto größer die Obsession mit Vorhersagen.

An der Sucht der Vorhersagen leiden aber offenbar nicht nur Politiker und Philosophen, sondern eben auch die Bürger selbst. Und das ist bewundernswert. Diese Sicherheit – auch in den Medien weit verbreitet – hätte ich gerne. So schreibt zum Beispiel ein Leser als Reaktion auf einen Kommentar zum Status quo in den USA: „Trump wird also 2021 wiedergewählt werden. Es liegt nicht in Trumps Charakter und nicht in seinen ureigensten Interesse, diese rosaroten Aussichten durch einen Krieg in Asien oder durch radikales Vorgehen anderswo zu gefährden. Er möchte ja als großer Präsident, nicht als ein gescheiterter Diktator, in die Geschichte eingehen. Wir Europäer sollten gelassen bleiben.“

Woher weiß der Mann das alles? Die Wahrscheinlichkeitstheorie auf der Basis alles Bisherigen gibt diese Prognose nicht her.

Wäre es nicht hilfreicher, wir alle – Politiker, Philosophen, Bürger würden die Lust am Negativen und an den Vorhersagen zügeln? Der Zwang, in die Glaskugel zu starren, nervt.

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