Da kann jetzt Österreich mächtig stolz sein. Es ist zwei Wochen her, da hieß es in den Medien am Gratisboulevard „Wir sind Präsident“. Turnusmäßig übernahm Österreich die EU-Präsidentschaft. Der Reigen der Ratssitzungen ist noch nicht einmal so richtig angelaufen, da macht das Land schon Schlagzeilen in Brüssel. Allerdings solche, die das wichtigste politische Kapital, das ein Vorsitzland einzusetzen hat, Vertrauen, Seriosität und Glaubwürdigkeit, zum Falschgeld macht. Wie nämlich steht ein Land da, dessen EU-Parlamentarier Kommissionpräsident Jean Claude Junker als Alkoholiker darstellt und das Staatsoberhaupt des Vorsitzlandes als „frustrierten Grünen“ bezeichnet.

Das Timing ist perfekt. Rechtzeitig zu Beginn unterlauft EU-Mandatar und FPÖ-Generalsekretär, Harald Vilimsky, ganz im Sinne seiner EU-feindlichen Klubfreunde in Brüssel, das Ansehen Österreichs. Fast könnte man meinen absichtsvoll, um Bundeskanzler Sebastian Kurz und der ÖVP den Glanz der EU-Führung zu vermiesen und die Gemeinschaft mit seiner tiefen Art zu irritieren: Vilimsky schießt sich auf Juncker ein, Bundespräsident Alexander Van der Bellen rügt die „unflätige“ Art des Blauen, dieser lässt keinen Zweifel wie wenig er vom Staatsoberhaupt hält („Nicht mein Präsident“), seine Parteifreunde sekundieren eilfertig ebenfalls mit Angriffen auf Van der Bellen, Vertreter der Europa-Partei ÖVP schweigen, die Opposition schläft, der Bundespräsident versucht es mit einen Weckruf: „Generell möchte ich sagen, dass es für die Oppositionsparteien an der Zeit wäre, ihre Rolle zu finden. Denn es ist nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten, diese Lücke zu auszufüllen.“

Was sich da die anderen EU-Mitglieder wohl denken? Subversive Elemente in der Bundesregierung, ein – eben über diese Regierung – verärgerter Bundespräsident, ein Kleinkrieg zwischen ihm und einer der Regierungsparteien und ein Regierungschef, der so tut als ginge ihn das alles nichts an. Was ist da los in Österreich? Über diese Frage sollte sich jetzt niemand mehr wundern.

Viel bedeutender aber als das niveaulose Verhalten Vilimskys und seiner FPÖ-Kumpanen ist die Tatsache, dass offenbar das „klare Bekenntnis zum europäischen Kurs“ im Koalitionsvertrag von ÖVP und FPÖ das Papier nicht wert ist. Die Äußerungen und das Verhalten mancher FPÖ-Vertreter von Vizekanzler Heinz Christian Strache abwärts signalisierten schon in den ersten Monaten dieser Regierung das Gegenteil. Sebastian Kurz hat keinen Versuch unternommen, ihren das „klare Bekenntnis“ öffentlich in Erinnerung zu rufen.

Und so sehen die Fakten aus:

Im Regierungsübereinkommen steht: „Unser Heimatland ist integraler Teil der Europäischen Union und der gemeinsamen Währung Euro. Wir werden als aktiver und zuverlässiger Partner an der Weiterentwicklung der EU mitarbeiten. . . .“ So weit das angebliche Bekenntnis. Die Zuverlässigkeit ist jetzt fürs erste einmal dahin. Und die Mitarbeit auch. Im EU-Parlament stimmten die FPÖ-Vertreter zum Beispiel im März nicht ein einziges Mal mit den ÖVP-Vertretern dort, wie Kollege Wolfgang Böhm in der „Presse“ penibel aufgelistet hat: „Die FPÖ-Abgeordneten stimmen in vielen Abstimmungen gegen Reformen der EU oder enthalten sich, wenn es um Problemlösungen und sogar um mehr Effizienz in jenen Fragen geht, die ihnen eigentlich am Herzen liegen müssten, wie etwa einheitliche Ausweispapiere für abgewiesene Asylwerber oder einen Ausbau des Außenschutzgrenzschutzes.“ Unterstützung der Weiterentwicklung der EU, wie im Koalitionspakt festgeschrieben, sieht anders aus.

In einigen Fällen stellt sich die FPÖ – Pakt hin oder her – direkt gegen den Koalitionspartner. Das wird wahrscheinlich in den Medien nur deshalb nicht als Verstoß gegen das Übereinkommen identifiziert, weil Kurz und die ÖVP nicht reagieren, um ja nur keine Differenzen öffentlich werden zu lassen. Während Kurz seit Monaten den Schutz der Außengrenzen trommelt und sich die beschlossene Aufstockung der Grenzschutzorganisation Frontex auf 10.000 Mann auf seine Fahnen heftet, nennt Vizekanzler Strache bei seinem allerersten Besuch in Brüssel im Mai eben diese Frontex eine „Schlepperorganisation“. Dann spricht sich nach Übernahme des Vorsitzes Innenminister Herbert Kickl für eine Stärkung von Frontex und eine Aufstockung der Mittel aus. Was jetzt? Für die „Schlepperaktivitäten“ dieser EU-Truppe, wie Strache meint? So sieht Verlässlichkeit in der EU aus?

Ende Mai ein weitere Vor- und Verstoß: Strache stellt die Personenfreizügigkeit, einen der Grundpfeiler der EU, öffentlich in Frage. Er will vor allem eine Beschränkung für osteuropäische Arbeitskräfte. Verstoß gegen geltendes EU-Recht? Na und, die Regeln zur Freizügigkeit müssten eben in Richtung Einschränkung wieder geändert werden. Weiterentwicklung als Rückabwicklung.

Im Wahlprogramm 2017 wollte die FPÖ noch die „Europäische Menschenrechtskonvention“ eventuell durch eine eigene österreichische ersetzen – ungeachtet der Tatsache, dass die Europäische Menschenrechtskonvention eine Bedingung für den EU-Beitritt war. Als Kickl Anfang Juli den Vorschlag machte, Asylanträge sollten in der EU nur für Menschen aus den unmittelbaren Nachbarländern möglich sein, sah er keinen Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention: "Ich kann nirgendwo diesem Text entnehmen, dass Europa auch zuständig sein muss für die Asylanträge von Menschen, die aus Regionen kommen, die tausende Kilometer von uns entfernt sind.” Daraufhin ließen ihn Experten wissen, wo er die entsprechenden Textstellen finden kann. Asyl als Grundrecht.

Die Differenz zwischen dem Bekenntnis im Koalitionspakt und den dazu widersprüchlichem Verhalten von FPÖ-Vertretern sollte nicht überraschen. Schließlich hat die ÖVP akzeptiert, dass der Koalitionspartner einen aufrechten Vertrag mit Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“ hat, der die Zusammenarbeit von „Jugend-, Frauen-, Bildung-, Hilfs und anderen gesellschaftlichen Organisationen zum Zwecke der Stärkung der Freundschaft und der Erziehung der jungen Generation im Geiste von Patriotismus und Arbeitsfreude“ festschreibt.

Als vertrauensbildend und verlässlichkeitsfördernd wird das bei den anderen EU-Mitgliedstaaten kaum durchgehen. Die ÖVP hat daran keinen Anstoß genommen. Insofern wird sie jetzt hinnehmen müssen, dass Vilimsky dem Ansehen Österreichs schadet.

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