Alle haben recht: Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, wenn sie die Explosion neben dem Mannschaftsbus des Fußballklubs Borrusia Dortmund am Dienstag eine „widerwärtige Tat“ nennt; Fürst Albert II von Monaco auch, wenn er von einer „schändlichen Tat“ spricht. Die Spieler und Fans haben recht, wenn sie entsetzt sind. Und es haben jene recht, die dankbar sind, dass nicht mehr passiert ist.
Und dennoch: Es gibt viele, die nicht recht haben. Nicht die Medien, die sich die Frage stellen sollten, ob sie mit ihrem Sensationsgetue nicht genau jenen in die Hände spielen, die sich jetzt immer neue Methoden und neue Ziele aussuchen? Wenn es am Wiener Boulevard zum Beispiel heißt „Die Welt ist geschockt“, so ist das der Beweis, wie die Dimensionen verloren gehen. Und es haben jene nicht recht, die nun glauben, die folgenden Fragen seien überflüssig: Die „Welt ist geschockt“ über einen – Gott sei Dank nur einen – verletzten Fußballspieler? Aber sie ist nicht geschockt über Hunderttausende Kriegstote und Millionen hungernder Kinder in Afrika?
Die Angstlust vor dem nächsten Anschlag mit IS-Verbindung – ob erwiesen oder nicht – vernebelt das klare Denken. Dortmund lieferte ein anschauliches Beispiel: Während die Polizei noch erklärt, man ermittle in „alle Richtungen“, haben die Angstlustvollen schon Islamisten als Täter ausgemacht und den Islamischen Staat als Auftraggeber identifiziert. Einen besseren Dienst kann man jenen, die tatsächlich Europa in Angst und Schrecken versetzen wollen, gar nicht erweisen.
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Klar gedacht, wäre es bei mörderischen Attacken auf die Zivilbevölkerung – wo auch immer – sinnvoller, in Alternativen zu denken. Denn, was wäre wenn?
Was wäre wenn
. . . Anschläge wie jüngst in Stockholm und jetzt in Dortmund nicht zu weltschockierenden Sensationen aufgebauscht werden? Der Propagandawert für den IS oder andere Hintermänner wäre für diese enttäuschend. Der „Trigger“ für Trittbrettfahrer oder Nachahmungstäter – aus welchen Kreisen immer – wäre schwach.
. . .nicht jedes noch so kleine Detail berichtet wird und die Dimension der Berichterstattung dem Ausmaß des Ereignisses angepasst werden würde? Würde es wirklich bedeuten, dass dann potenzielle Mörder immer größere Anschläge planen würden, um dieselbe Aufmerksamkeit zu erzielen? Würde es aber nicht eher bedeuten, dass bei dem derzeit eher ausgeklügelten Schutz „großer“ Ziele und „großer“ Ereignisse mehr Anschläge zu verhindern wären als beim derzeitigen Trend zu „soften“, also weniger geschützten Zielen, in „soften“ Ländern wie Schweden, die sich eine Tat wie in Stockholm in ihren Grenzen bisher kaum vorstellen konnten? Was bedeutet es, wenn mit einem Lastwagen oder einem Sprengsatz im Gebüsch die gleiche globale Aufmerksamkeit zu erzielen ist wie mit komplizierten Anschlagsplänen?
. . . wenn die Bekennerschreiben – ob echt oder nicht, konnte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in Dortmund zum Beispiel niemand sagen – nicht umgehend Wort für Wort millionenfach verbreitet werden? Mit jeder darin enthaltenden Drohung steigt die Angst der Medienkonsumenten, erreichen die Täter ihr Ziel der Destabilisierung der „Gegner“. Mit der dadurch beflügelten Hysterie wird ihr Geschäft ohne Aufwand für sie selbst erledigt.
Nur für den Fall, dass jemand dies missverstehen will: Es geht nicht um Verschweigen oder Unterdrücken. Es geht nicht darum, die Bevölkerung in falscher Sicherheit zu wiegen. Es geht auch nicht um Verharmlosung: Jede(r) Tote, jede(r ) Verletzte ist zu viel. Aber es geht um die richtige Dimensionierung. Dortmund und Stockholm waren nicht Berlin, Paris, Nizza oder Brüssel.
Deutschland war in den 70iger Jahren auch in Angst und Schrecken versetzt worden – und wurde dennoch mit dem RAF-Terror fertig. Auch wenn es sich jetzt um globalisierten Terror handelt, er wird weder mit Angstlust, noch mit Hysterie noch mit Sensationslust bekämpft werden können. Gegen die neue Methode, schwache Ziele mit unauffälligen Mitteln anzugreifen, gibt es keine traditionelle Gegenwehr. Darauf kann sich keine Sicherheitsstruktur in Europa wirklich vorbereiten. Also wäre es an der Zeit zu überlegen, mit welchen anderen Mitteln, die Täter an Erreichung ihres Ziels gehindert werden können.
Es ist erst zwei Wochen her, da verkündete der türkische Präsident Recep Erdogan: „Wenn Europa seinen Weg so fortsetzt, kann sich kein Europäer in irgendeinem Teil der Welt mehr sicher auf den Straßen bewegen.“ Haben das alle schon vergessen? Kommendes Wochenende will Erdogan im Referendum über die neue Verfassung eine Blankovollmacht, um Europa unter Druck setzen und seine Drohung wahr machen zu können.
Was wäre, wenn sich Europa darauf einstellt und nicht nur angstbesetzt auf den nächsten Anschlag wartet?