Es ist schon richtig: Geht man an ein Projekt mit Optimismus heran, besteht jedenfalls eine 50 prozentige Chance, es erfolgreich zu beenden. Mit Pessimismus liegt sie bei 0. Deshalb ist es auch richtig, nach der Niederlage im Spiel gegen Ungarn am Dienstag nicht alle Hoffnung fahren zu lassen und allen Widrigkeiten zum Trotz auf Sieg zu setzen.

Es ist aber auch richtig, dass diese Europameisterschaft wieder einmal ganz deutlich zeigt, dass in Österreich so etwas wie eine bipolare Verstimmung vorherrscht. In den letzten Monaten musste man den Eindruck gewinnen, als hätte das österreichischen Nationalteam die Europameisterschaft ohnehin schon gewonnen, nur weil es sich dafür qualifiziert hatte. Wer immer befragt wurde, gab vor zu wissen, dass der Pokal eigentlich eh schon in Wien aufgestellt werden könnte. Bei dieser Mannschaft und diesem Trainer!

Nach der Niederlage wiederum wussten alle, dass das eh nichts werden konnte, bei diesem Trainer, bei diesem Schiedsrichter, den Ungarn, bei der Härte. Vor dem Spiel wurden Fans interviewt, die allesamt Ungarn verbal vom Platz fegten und sich so siegessicher gaben wie eben jemand in der manischen Phase des bipolaren Zustands. Nach dem Spiel ging das Jammern über die harten Ungarn und den sehschwachen Schiedsrichter in einer Vehemenz los wie sie eben in der depressiven Phase vorkommt. An unrealistisch aufmunternden Worten fehlt es auch nicht.

Um ja kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Eine bipolare Störung ist eine für die Betroffenen erdrückende Krankheit. Sie soll durch die Diagnose einer bipolaren Verstimmung, keineswegs relativiert oder verharmlost werden.

Eine Verstimmung ist irgendwie beherrschbar, vor allem wenn man bereit ist, sich mit ihr auseinander zu setzen und mit ein wenig Selbstreflexion Ursachenforschung zu betreiben.

Diese Hochschaubahn der Emotion – zuerst ganz oben, dann ganz unten, seltsamerweise kaum je umgekehrt – erlebt man in Österreich jetzt nicht zum ersten Mal. Sie wird immer dann in Betrieb genommen, wenn die Chance gegeben ist, sich als Land bedeutender zu fühlen als es der Realität entspricht. Entscheidend ist die Frage: Woher kommt dieses Bedürfnis, mehr zu sein als man sein kann – vor allem in einem Land, das sich so viel zu Gute hält, die Dinge entspannter anzugehen als andere? Wieso, um auf das aktuelle Beispiel zu kommen, zeigt man sich dann bei Versagen so verwundert, dass andere hart auf Sieg spielen?

Für die Frage nach den Ursachen des Überwertigkeits-Bedürfnisses gibt es immer verschiedene Antworten und wahrscheinlich sind alle zusammengenommen richtig:

Weder Monarchie, noch katholische Kirche, noch in den modernen Zeiten die politischen Parteien waren je darauf aus, das Selbstwertgefühl der Österreicher zu stärken. Deshalb diese Schwankungen zwischen Überwertigkeit und Minderwertigkeit. Dann wird das Kleine-Staaten Syndrom angeführt. Ergibt sich für einen Kleinstaat einmal die Gelegenheit zu einem Erfolg, wird dieser gleich so präsentiert, als stünde er dem Kleinstaat einfach zu. Bevor man sich dafür überhaupt noch angestrengt hat. Schließlich der Mangel an Zutrauen zu sich selbst. Die Euphorie vor dieser EM wirkt immer ein wenig wie das Pfeifen im Wald. Wenn man aber im Innersten sich den Erfolg gar nicht zutraut, stellt er sich auch nicht ein.

Das ist auch das Geheimnis des David-Goliath-Syndroms. Der Schwächere ist beseelt vom möglichen Erfolg, der Stärkere glaubt, er stünde ihm zu. Am deutlichsten war dies beim Spiel Portugal gegen Island zu beobachten.

Es ist nicht anzunehmen, dass wir wegen der EM endlich zu einem realistischen Mittel auf der nationalen Gefühlsskala finden. Aber es ist zu hoffen, dass wir über unsere nationale bipolare Verstimmung nachdenken. Auf die Dauer ist dieses Auf und Ab nämlich anstrengend, kostet zu viel Energie und ist nicht konstruktiv.

shutterstock/Csaba Peterdi

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Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 24.06.2016 16:06:52

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