Was waren sie froh, Michael Spindelegger, den niemals entfesselten ÖVP-Chef, los zu sein! Was werden sie froh sein, dass Reinhold Mitterlehner jetzt nach nur zweieinhalb Jahren die Nerven verloren hat! In neun Jahren hat die ÖVP vier Parteichefs „verbraucht“, auf die eine oder andere Weise. Was haben sie Mitterlehner 2014 nicht hochleben lassen. Jetzt hat er zum letzten Mal als Django gezogen und die Partei mitten ins Herz getroffen, denn so hat man dort dann doch nicht gewettet. Wer in der ÖVP glaubt, das war nur ein Streifschuss, wird sich gewaltig irren.
Eines kann man der ehemals staatstragenden Volkspartei sicher nicht absprechen: Beständigkeit. Sie hat noch jeden neuen Obmann mit „überschwänglich erscheinender Begeisterung“ empfangen, wie der ehemalige Generalsekretär Hermann Withalm schon in den siebziger Jahren in seinem „Gästebuch“ mit großer Skepsis eingetragen hat. Seither hat die Partei ihr Verhalten nicht geändert.
Schon erhebt sich da und dort das Klagelied zu Mitterlehners Schritt: Warum ausgerechnet jetzt? Der Rücktritt Reinhold Mitterlehners von allen Funktionen JETZT passt offenbar vielen nicht ins Konzept. Er kommt zu früh. Er sollte allerdings wirklich nicht überraschen. Zum einen nicht, weil Mitterlehners eher großes Ärgerpotenzial, um nicht zu sagen Wutpotenzial, bekannt war. Man musste ihn nur genau beobachten, um zu wissen, wann der nächste Ausbruch bevorstand. Insofern mag seine Begründung, Armin Wolfs „Totengräber“ in der ZIB 2 wären der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, etwas seltsam wirken. Sie entspricht aber seiner Persönlichkeit. Genauso wie sein Hinweis, er sei kein Platzhalter für irgendjemanden, der irgendwann entscheiden werde, ob ihm alles –Zeitpunkt, Parteistruktur inklusive – für einen Verdrängungscoup passt.
Den Namen Sebastian Kurz erwähnt er nicht. Der Außenminister war aber der Elefant im Raum, wie alle bei der Pressekonferenz wussten, also jene Person, um die es geht, die aber niemand erwähnt. Warum es im Angelsächsischen „elefant in the room“ heißt, ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls hat Mitterlehner Kurz mit seinem Rücktritt nach der Papierform in eine No-Win-Situation gebracht – es sei denn, der Minister ist tatsächlich so genial wie er und seine Adoranten Glauben machen wollen. No-Win deshalb, weil Kurz die ÖVP in einem Zustand übernehmen muss, den er noch vor zwei Tagen abgelehnt und als inadäquat beschrieben hat. Selbst wenn Kurz sich vom Parteivorstand am Wochenende eine Generalvollmacht geben lässt, hat das noch nicht zu bedeuten, dass er binnen kürzester Zeit einen sensationellen Umbau schafft. Generalvollmachten wurden in der österreichischen Innenpolitik schon oft vergeben. Alles andere aber als die Totalzerschlagung der Parteistruktur wird ihm als Versagen ausgelegt werden. Und dann geht das „schwarze“ Spiel von vorne los.
No-Win auch deshalb, weil die ÖVP das Regierungsabkommen vom Jänner nicht ohne weiteres aufkündigen kann. Kurz hat es selbst unterschrieben. Nach nicht einmal zwei Monaten erklären zu müssen, dass er das eigentlich nicht wollte, würde ihn nicht als sehr vertrauenswürdig ausweisen.
Es mag schon sein, dass Kurz seine Pläne zur Wirtschaftspolitik, zur Bildungs- und Sozialpolitik, zur Staatsreform etc. bereits in der Schublade hat. Er müsste sie allerdings schneller herausziehen und verwirklichen als er die Partei gefügig machen kann.
No-Win auch deshalb, weil er als Verursacher von vorgezogenen Neuwahlen dastehen würde. Nach den Ereignissen der letzten Tage, nach dem völlig entfesselten Macho-Getue des Innenministers (mehr Hahnenkampf war noch nie in der Innenpolitik), nach den Zensuren des Außenministers für seine eigene Partei, kann man den Schwarzen Peter für den Abbruch der Regierungsarbeit nicht der SPÖ zuschieben. Schon gar nicht nach den Worten Mitterlehners bei der Pressekonferenz, mit denen er die „Opposition“ zur Regierungsarbeit in der eigenen Partei abkanzelte.
No-Win auch deshalb, weil Kurz eigentlich Klubobmann Reinhold Lopatka, Generalsekretär Werner Amon, Innenminister Wolfgang Sobotka und alle Kompagnons im Intrigantenstadel entlassen muss. Wenn er das nicht tut, kann er sich beim Umbau nur auf kleine Steine verlassen. Das haben andere vor ihm auch getan.
No-Win, aber wie: Ruft die ÖVP jetzt Neuwahlen aus, geht sie trotz Kurz mit einem Malus in den Wahlkampf. Verweigert die SPÖ die Zustimmung, muss die ÖVP auf Bruch gehen. Bei einem Gutteil der Abgeordneten der ÖVP im Nationalrat wird das nicht gut ankommen. Sie verlieren ein Jahressalär.
Viel Glück, dem „Trumpf-Ass“ Kurz (© Steiermarks Hermann Schützenhöfer) der ÖVP, auf dass er nicht zum „Bub“ mutiert.
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