Es gibt Erinnerungen aus der Kindheit, die nie verblassen. Eine von ihnen tauchte in allen Details wieder auf, als FPÖ-Chef Heinz Christian Strache einen Zaun um ganz Österreich forderte und die SPÖ-Zentrale in der Gratiszeitung, für die der Wahrheitsvorbehalt gilt, ihm viel Erfolg für „einen Zaun über den Hauptkamm der Karawanken in 2000 Meter Höhe“ wünschte.
Da war sie also wieder die Erinnerung an die Flüchtlinge aus dem kommunistischen Ex-Jugoslawien, die über diesen Hauptkamm nach Österreich flüchten wollten. Da war sie wieder die Erinnerung an die vielen Leichen, die dann in den Geröllhalden der Karawanken gefunden wurden. Auf der slowenischen Seite sind die Karawanken nämlich verführerisch ungefährlich. Und dann plötzlich der steile Abfall auf der österreichischen Seite. Als Kind waren die Begriffe Flucht und Tod mit dieser Bergkette verbunden. Jede Erzählungen der Erwachsenen prägte sich ein: Wer war das, der gestern vom Berg gefallen war? Allein oder mit Familie? Warum?
Und jetzt 60 Jahre und mehr danach soll wieder die Rede davon sein, ob man über die Karawanken nach Österreich kommen kann? Das war noch vor einigen Monaten völlig undenkbar. So weit wird es nicht kommen. Die Karawanken trennen nicht mehr zwei völlig gegensätzliche Gesellschaften, sie verbinden zwei Mitgliedstaaten der EU. Flüchtlinge, woher immer, gehen über aufgelassene Grenzstationen, nicht über Bergketten.
Dennoch macht das Gerede vom Karawanken-Zaun nachdenklich. Zumindest so nachdenklich wie der Schwenk der ÖVP innerhalb weniger Wochen beim Asyl-Thema. Wer ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner in den ORF-Sommergesprächen zu Asylfragen gehört hatte, hat wahrscheinlich den Kurswechsel zur Härte hin von Montag dieser Woche auch für undenkbar gehalten.
Nicht der Schwenk an sich stimmt nachdenklich, sondern seine Motive. In den Medien wurden sie in seltener Einigkeit der bevorstehenden Landtagswahl in Oberösterreich zugeordnet. Schlimm genug, aber wahrscheinlich zu einfach gedacht. Vielleicht liegen sie eher in einem vermuteten Stimmungswechsel in der Bevölkerung. Der August war der Monat der Hilfsbereitschaft, der Willkommen-Kultur. Der September ist der Monat der Überforderung, der Skepsis und wohl auch der Frustration.
Nur, was bedeutet es, wenn eine Partei in so rascher Abfolge ihre Linie je nach der vermuteten Stimmung ändert? Kein Politikfeld wird von Stimmungsschwankungen in der Bevölkerung verschont. Kann dann in kürzester Zeit und noch dazu so offensichtlich hin und her geschwenkt werden? Auch bei anderen Grundrechtsfragen, von denen das Recht auf Asyl und Humanität nur ein Teil sind? Was bedeutet das für Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit? Wo werden wir landen, wenn beide in der Politik fortgesetzt beschädigt statt gestärkt werden – schwach wie sie zur Zeit ohnehin sind? Eine wahrscheinlich überflüssige Frage.