„Das ist gut, das ist richtig!“ Als letzten Sonntag Bundeskanzler Sebastian Kurz sein Treffen mit George Soros am Ballhausplatz öffentlich machte, war ihm dafür Anerkennung zu zollen. Er distanzierte sich damit unmissverständlich vom Antisemitismus des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der Soros mit einer beispiellosen Prangeraktion via Großplakate in Ungarn verunglimpfen wollte. Er distanzierte sich damit ohne Worte vom Klubchef seines Koalitionspartners FPÖ, Johann Gudenus, der sich öffentlich in den Verschwörungstheorien gegen Soros angeschlossen hat. Und er zeigte jenen Mut, den zum Beispiel Bundespräsident Heinz Fischer 2012 nicht aufbrachte, als er sich aus Angst vor Ärger mit China geweigert hat, den Dalai Lama zu empfangen.
Am Sonntag also gab es diesen Moment der Anerkennung. Kurz hätte die Besprechung mit Soros über eine mögliche Verlegung der Central European University (CEU) von Budapest nach Wien ohne weiteres Bildungsminister Heinz Faßmann zur Gänze überlassen können. Hat er nicht. Er wolle ganz offensichtlich ein Zeichen setzen und das war gut so.
Das hatte natürlich gewisse taktische Ablenkungsvorteile. Aber so ist Politik. Es konnte von der unendlichen Peinlichkeit, einen Sicherheitsbeamten mit Neo-Nazi-Kontakten im Parlament und noch dazu im heiklen Untersuchungsausschuss zur Affäre im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus beschäftigt zu haben, abgelenkt werden. Es konnte die Nähe der Regierung und besonders der FPÖ zu Viktor Orban relativiert werden. Es konnte verdeckt werden, dass Orban mit erheblichen Aufwand dem verurteilten Ex-Ministerpräsidenten von Mazedonien, Nikola Gruevski, in Ungarn als „politischen Flüchtling“ anerkannt hat. Dieser hat sich als solcher einer zweijährigen Haftstrafe wegen Korruption entzogen. Es konnte die frühere Nähe von Kurz zu eben diesem Ministerpräsidenten – Wahlkampfhilfe inklusive – verwischt werden.
Einen kurzen Moment konnte man sich über eine positive Überraschung freuen. Vor allem, weil sie bei all den üblichen Opportunismus so nicht zu erwarten war. Auch das kann Politik sein? Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Am Vorabend der großen EU-Antisemitismuskonferenz erhielt Kurz bei einem Festsessen im Naturhistorischen Museum nicht nur einen Ehrenpreise des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), sondern wurde auch als „Mann von Grundsätzen und Visionen und als wahrer Freund des jüdischen Volkes“ gepriesen.
Bei der Konferenz selbst wurde dann allerdings klar, dass da irgendetwas mit den Grundsätzen, der Verantwortung, den Visionen so nicht stimmen kann. Zu der Konferenz, bei der Kurz in seinem Eingangstatement die „besondere Verantwortung“ Österreichs betonte und „nachhaltige Schritte“ ankündigte, waren keine Vertreter des Koalitionspartners FPÖ eingeladen. Die Israelische Kultusgemeinde (IKG) verweigert nach wie vor jeden Kontakt. Ihr ehemaliger Präsident Ariel Muzikant erklärte in einem ORF-Interview: Die Distanzierung der FPÖ vom Antisemtismus sei einfach nicht glaubwürdig genug. Seit Antreten der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung hätte es „Hunderte Einzelfälle“ gegeben. Dass Kurz zu allen schweigt, erwähnte Muzikant nicht. Und Kurz wiederum erwähnte seinen Koalitionspartner nicht. Es wäre eine Chance zur Klarstellung der Grundsätze, der Visionen und der Verantwortung gewesen. Statt dessen schob der Bundeskanzler die Schuld an der Zunahme von Antisemtismus und Antizionismus in einem Nebensatz dem Import durch die Moslems zu. Ganz nach FPÖ-Art.
Die „Süddeutsche Zeitung“ brachte das Dilemma der österreichischen Bundesregierung im Kampf gegen Antisemitismus auf dem Punkt: “Nur die eine Hälfte, die Volkspartei von Kanzler Kurz, ist dabei glaubwürdig. Über den Freiheitlichen hängen noch immer die braunen Schatten der Vergangenheit.“
Auch zum jüngsten „Einzelfall“, der Teilnahme von FPÖ-Funktionären an einer Gedenkfeier für den Wehrmachtsflieger Walter Nowotny, einem hoch dekorierten Nazi-Offizier, hat Kurz geschwiegen. Nowotny hatte im November 1944 von der Stadt Wien ein Ehrengrab erhalten. 2003 wurde der Ehrengrab-Status aberkannt. Jetzt gibt es einen eigenen „Verein“ zur Pflege. Das Grab gilt auch als Pilgerstätte von Neo-Nazis.
Die „Süddeutsche“ kommt zu dem Schluss: „Der Makel der FPÖ lastet auf der Koalition.“
Und daraus entstand dann die fortgesetzte Ernüchterung: Vor einer Woche gab sich Kurz entrüstet, weil die FPÖ durch einen „Kommunikationsfehler“ ein eindeutig rassistisches Video zur Reform der E-Card auf Facebook gepostet hat. Auch Vizekanzler Heinz Christian Strache hatte „keine Freude“. Eine Woche später teilt er rassistische Bilder auf seiner Facebook-Seite vom Weihnachtsmarkt im Wiener Bezirk Favoriten: „2017 Muslimische Zeltstadt“ (zwei Reihen von weißen Zelten). Die Bilder im Internet stammen ausschließlich von der rechten Plattform unzensuriert.at. „ FPÖ-Protest zahlt sich aus: 2018 Würdige und traditionelle Holzhütten“. Um einen innerparteilichen Kommunikationsfehler wird es sich wohl nicht handeln.
Und dann am Donnerstag im Parlament ein Aktion der Regierungsparteien unter der Verantwortung des Bundeskanzlers, welche Ernüchterung in Fassungslosigkeit kippen ließ. Allerdings hielt sich da die Überraschung in Grenzen. Die Missachtung parlamentarischer Gepflogenheiten und Mechanismen ist seit einem Jahr geradezu ein Markenzeichen der Koalition geworden. Und Kurz selbst hat bei der Eröffnung der Anti-Semitismuskonferenz einen Einblick in seine Haltung gegeben. Er entschuldigte seine Verspätung so: „Ich musste leider meiner verfassungsmäßigen Pflicht nachgehen und dem Parlament Rede und Antwort stehen.“ Leider? Hoffentlich nur ein Freud’scher Versprecher.
Einen Tag später wandte die Koalition den Trick zum zweiten Mal, in letzter Minute einen Abänderungsantrag in ein zur Abstimmung vorliegenden Gesetz einzubringen, mit dem ein ganz anderes Vorhaben realisiert werden soll. Das war bei der überfallsartigen vorzeitigen Einführung des 12 Stunden Tages so und das war am Donnertag so: Ohne jede Vorankündigung wurde ein Abänderungsantrag zum Pensionserhöhungsgesetz „eingeschoben“, mit dem FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein zu Reformschritten in der Sozialversicherung ohne gesetzliche Grundlage ermächtigt wurde. Das Ganze wurde unter „Vorbereitung der Neuordnung der Verwaltungskörper“ in das Pensionsgesetz geschoben: „§ 717b Vorbereitungshandlungen, die im Hinblick auf erst in Zukunft liegende Gesetzesänderungen im Bereich der Sozialversicherungsgesetze erforderlich sind, können bereits vor dem In-Kraft-Treten des jeweiligen Bundesgesetzes durchgeführt werden, wenn andernfalls eine fristgerechte Umsetzung nicht möglich wäre und der Gesetzesvorschlag bereits in parlamentarischer Behandlung steht“.
Das heißt, der Umbau der Sozialversicherungen kann ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt werden oder eben auf der Basis dieser „Ermächtigung“. Die SPÖ will eine Prüfung dieses Antrags durch den Verfassungsgerichtshofs. Es könnte ja auch bei anderen Themen das Parlament mit derartigen “Vorbereitungs-Beschlüssen” umgangen werden. Die ÖVP begründete die Vorgangsweise so: Man erwarte Widerstand gegen die Reform in den Kassen.
Im Artikel 18 der Bundesverfassung steht: „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden."
Es wird spannend, zu erfahren wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Situation sieht. Das Gesetz zur Pensionserhöhung ist sicher verfassungsmäßig zu Stande gekommen. Dagegen wird er keinen Einspruch erheben können. Welchen Spielraum hat er?
Gewiss, das sind alles demokratiepolitische Feinheiten – weit weg vom Interesse einer breiten Öffentlichkeit. Noch. Die Frage ist nur, warum eine Koalition, die will, dass es “allen Menschen in Österreich besser geht” ( © Kurz bei den ORF-Sommergesprächen) nicht den normalen ruhigen parlamentarischen Weg geht, sondern sich fortgesetzt auf Finten gegen Kritiker und parlamentarische Opposition konzentriert. Was haben die Menschen davon?
Glaser/Oevp https://www.dieneuevolkspartei.at/Img/Sebastian-Kurz.jpg