Das ist jetzt überhaupt nicht fair. Aber von Spitzenpolitiker, männlich wie weiblich, darf man schon verlangen, dass sie wissen, was sie reden; dass sie bedenken, in welchem Kontext sie was sagen. Möchte man zumindest annehmen. Noch dazu, wenn es sich um solche mit langjähriger Erfahrung in der Politik handelt. Und was ist nun nicht fair?
Die Rechnung, die man nach einem Interview mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) aufmachen kann: Auf die Frage, wie teuer denn ihre Schuhe sein dürfen, antwortete sie in einem Zeitungsinterview so: „Da habe ich eine Schmerzgrenze und die liegt bei 100 bis 150 Euro.“ Also für ein paar Schuhe der Chefin des Arbeiter- und Angestelltenbundes der ÖVP (ÖAAB) könnten fünf bis sieben Flüchtlinge pro Tag versorgt werden...
Diese unfaire Rechnung fällt nur deshalb ins Gewicht, weil der Anlass für das Interview eigentlich die „unwürdige Herbergssuche“ für Flüchtlinge war. Sie hätte sich in diesem Zusammenhang nicht zu ihrem Modetick und dazu befragen lassen dürfen, wie viel sie monatlich für Kleidung ausgebe („Das halte ich vor meinem Mann streng geheim, kann es hier also auch nicht sagen“). Auch ohne die Flüchtlingsrechnung wäre die „Schmerzgrenze“ von 150 Euro pro Schuhpaar nicht wirklich eine geschickte Ansage für jemanden, der Arbeitnehmer vertritt und mit einem „Her mit der Marie, her mit dem Zaster“-Schrei aufgefallen ist.
Das durchschnittliche Monatseinkommen von Frauen ist laut Statistik Austria 1.268 Euro, macht in der Woche also 317 Euro. Für alles! Da wirken die 150 Euro schon etwas seltsam – ohne kleinlich zu werden. Aber es ist nicht der Betrag an sich, sondern der eigenartige Mangel an Sensibilität oder Fingerspitzengefühl, wenn man so will. Was müssen sich Studenten oder junge Absolventen der Universitäten und Fachhochschulen denken, die ein Praktikum für 400 Euro im Monat annehmen, nur um einen (beschuhten) Fuß in die Tür zum Arbeitsmarkt zu bekommen, für den Mikl-Leitner als ÖAAB-Chefin auch zuständig ist? Jetzt wird gleich irgendjemand mit der österreichischen Neidgesellschaft daher kommen. Doch wer wird schon auf 20 bis 25 Schuhe neidisch sein? Das wäre wirklich zu töricht. Niemand wird Mikl-Leitner das Recht auf Privates oder Privatvergnügen absprechen wollen.
Allein, es ist nicht notwendig, mit so unbedachten Aussagen den sogenannten „kleinen Frauen“ mit dem Stöckelschuh vormals Stellwagen ins Gesicht zu fahren, wie es in Wien und wahrscheinlich auch in Niederösterreich heißt. Es ist die Einstellung und der Mangel an Gespür, die hinter solchen Aussagen stecken, zumal sie in diesem Fall auch noch bewusst öffentlich gemacht wurden. Im Vergleich dazu und in einem viel bedeutenderen Rahmen scheint der frühere republikanische Kandidat um die US-Präsidentschaft, Mitt Romney, eine noch viel unfairere Behandlung erfahren zu haben. Dessen unbedachte Äußerung im kleinen Kreis, von den 47 Prozent der Amerikaner, um die sich die Konservativen eh nicht kümmern müssten, weil diese am Tropf des Wohlfahrtssystem hingen und sich nicht anstrengen wollten, hat ihm entscheidende Stimmen bei der Wahl gekostet. Es war eine „private“ Äußerung. Aber von einem Bewerber um ein so hohes Amt darf man eben auch verlangen, dass er weiß, was er sagen kann und was nicht. Privat, öffentlich, bei ein- oder ausgeschaltetem Mikrofon, egal! Auch vom britischen Premiereminister David Cameron hätte man erwarten dürfen, dass er das Wort von der „schnurrenden“ Queen erst gar nicht in den Mund nimmt, selbst wenn sie noch so amused über das Abstimmungsergebnis in Schottland war. Es gibt eben Abstufung der Bedeutung. Im kleinen Österreich bleiben die 150 Euro Schuhe hängen – ob das nun unfair ist oder nicht. Für Mikl-Leitner hätte das Schuh-Gate ihres Parteikollegen Martin Bartenstein eigentlich eine Lehre sein können: Auch er bekam die Geschichte mit dem Rabbat, den er verlangt haben soll, nicht mehr los. Es sind die kleinen Dinge, jene, unter denen sich normale Bürger etwas vorstellen können . . . aber das sollte sich eigentlich schon durchgesprochen haben.
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