Der Wahlkampf in Österreich ist vorüber, die Entscheidung gefallen. Nun plötzlich taucht die Meldung auf, jemand mit Nähe zur ÖVP war verantwortlich für die Facebook Seite „Die Wahrheit über Christian Kern“. Jetzt? Nachdem „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ die letzten Wochen des Wahlkampfs dominiert hat? Haben die Medien da etwas übersehen? Aus Unvermögen oder aus Interesse?

Für „ZEIT ONLINE“ verfasste der Journalismus-Theoretiker Fritz Hausjell in der Vorwoche zehn Thesen für seine Analyse der Rolle des österreichischen Journalismus im Wahlkampf. Er kam zu dem Schluss, dieser sei „aufdeckungsschwach“ gewesen. Die Tatsache, dass die Affäre um den SPÖ-Berater Tal Silberstein und die Anti-Kurz-Facebook-Seiten nicht mit den „Methoden journalistischer Recherche“ ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, sondern per gezielt zugespielten Dokumenten, sieht er als Beweis der „Instrumentalisierung“ der Medien. Investigativer Journalismus hätte den Umstand thematisieren müssen, dass „die jeweils gegnerische Seite massiv ihre Finger im Spiel“ hatte.

Kennt der Mann die österreichische Medienszene wirklich? Seit den Tagen des Skandals um das Wiener Allgemeine Krankenhaus (AKH) in den späten siebziger Jahren – und auch schon früher – kann in dem kleinen Land Österreich nur enthüllt werden, wenn die „gegnerische Seite“ von irgendjemanden „massiv die Finger im Spiel“ hat. Beim AKH-Skandal und allen folgenden Affären der späten Regierungsjahre Bruno Kreiskys war es die ÖVP, nachdem sie nach langen schwachen Oppositionsjahren endlich ihre (Kontroll)Rolle gefunden hat. Bei den Verwicklungen der Steuerberatungskanzlei Consultatio im AKH-Skandal waren es dann auch die SPÖ-internen Gegner des damaligen Finanzministers Hannes Androsch.

Falls Hausjell mit den Mechanismen nicht wirklich vertraut ist, kann ihm hier nachgeholfen werden: Investigativer Journalismus in Österreich war und ist immer darauf angewiesen, dass jemand ein Interesse an einer Aufdeckung hat. Andernfalls stoßen in diesem Land, wo jeder jeden in der polit-medialen Blase kennt, die Methoden journalistischer Recherche bald an ihre Grenzen. Und zwar nicht, wie in der Bevölkerung oft angenommen, weil „Weisungen von oben“ Medien daran hindern, sondern weil mangels an Interesse an Aufklärung von zumindest einer Seite Quellen rasch nach Beginn der Recherche rascher dicht gemacht werden als der Journalist eine Telefonnummer wählen kann.

Das ist der Fluch des kleinen Landes, nicht der Aufdeckungsschwäche des heimischen Journalismus. Wer immer Unterlagen zur Verfügung stellt, hat ein Interesse an ihrer Veröffentlichung. Wer immer sie publiziert, lässt sich auf die eine oder andere Weise instrumentalisieren. Besonders eigentümlich mutmaßt Hausjells Forderung an, man hätte das thematisieren müssen: Dann hätte man auch gleich Quellen preisgeben können.

Ein Gedankespiel zur Belustigung: Hätten Bob Woodward und Carl Bernstein im Zuge des Watergate-Skandals bekannt geben müssen, dass ihr Informant „Deep Throat“ ein FBI-Mitarbeiter war, der weiteren Schaden von der US-Demokratie abwenden wollte? Haben sie sich mit der Geheimhaltung der Quelle nicht auch instrumentalisieren lassen?

Diese Argumentationslinie des Journalismus-Theoretikers ist also nicht nachzuvollziehen.

Im Kern ist Kritik natürlich berechtigt, aber anders: Es ist an der Zeit, die Frage zu stellen, warum in Österreich investigativer Journalismus so schwach ausgeprägt ist? Das hat einerseits mit dem oben beschriebenen dichten Netz an Verflechtungen und Abhängigkeiten im politischen Bereich und damit zu tun, dass in Österreich keine Institution, keine Einzelperson ein Interesse daran hat, investigativen Journalismus zu finanzieren. Auch das Projekt des Red Bull Milliardärs Dietrich Mateschitz „Quo Vadis Veritas“ ist auf der Suche nach der Wahrheit bisher im Erklären stecken geblieben und hat das Aufdecken noch nicht entdeckt. Unabhängige Finanziers, die via Stiftungen ein Projekt wie „Politico USA“ oder „Politico Europe“ wirtschaftlich absichern, tauchen hierzulande aus Gründen mangelnden Interesses nicht auf.

Die investigative Schwäche hat aber andrerseits auch damit zu tun, dass viel zu wenig Geld in Human Resources, um es modern auszudrücken, fließt. Recherchen brauchen Zeit. Recherchen benötigen Fortbildung. Den meisten Journalisten wird sie nicht zugestanden. „Es rechnet sich nicht“, heißt es. Daran scheitern auch noch so ambitionierte junge Journalisten und Journalistinnen. Plattformen wie „Dossier“ mit nachweislich kompetenten Recherchefähigkeiten kämpfen mit ihrer wirtschaftlichen Existenz. Warum wohl?

Darüber lohnt es sich nachzudenken. Hausjells Vorwurf der Instrumentalisierung richtet sich gegen die Falschen. Er sollte jene treffen, die aus wirtschaftlichen Gründen und sonstigen Interessen mit Aufdeckung und Aufklärung nichts anzufangen wissen.

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