Für wie blöd halten sie uns?

Man könnte es in diesen Tagen einem Hitzekoller zuschreiben. Aber das wäre erstens zu banal und würde zweitens dem nicht gerecht werden, was sich die beiden Regierungsparteien ÖVP und SPÖ in den letzten Tagen geleistet haben. Entweder sie rechnen mit einem sträflich kurzen Gedächtnis der Bürger (zu Unrecht) und einem der Medien (zu Recht, wie es scheint) oder sie unternehmen neuerlich den untauglichen Versuch, beide hinters Licht zu führen.

Denn diese Unverfrorenheit muss man sich erst einmal zutrauen: Am 7. Juli beschloss der Nationalrat die Steuerreform. Am 20. Juli kündigen Finanzminister Hans Jörg Schelling und die ÖVP groß das „Ende der kalten Progression“ als überraschende Wohltat der angeblichen Wirtschaftspartei in einem Wirtschaftsprogramm an – und die meisten Medien apportieren erfreut: „Aus für kalte Progression“.  Jö, schau! Die Beschlüsse sind schon gefasst?

Daraufhin kann sich die SPÖ vor Freude kaum mehr halten. Kanzleramtsminister Josef Ostermayer verkündet im Parteipressedienst und ORF: „Ich bin froh, dass die ÖVP nun verhandlungsbereit ist und in der Sache die gleiche Position wie SPÖ, ÖGB und Arbeiterkammer vertritt“.  Bereits 2014 sei ein entsprechender Plan gegen die schleichende Steuererhöhung vorgelegt worden, nun müsse über die Finanzierung verhandelt werden.

Nun könnte man glauben, dass es sich hier um eine ganz besonders gefinkelte Strategie der ÖVP handelt: Weil die Steuerreform kommunikationstechnisch so großartig von der Regierung abgewickelt worden war, dass jetzt alle glücklich sind, versucht man das Ganze kurz darauf noch einmal, um den parteipolitischen Erfolg zu verlängern. Es darf nur leise daran erinnert werden, dass genau das Fehlen von Maßnahmen gegen die kalte Progression einer der Hauptpunkte war, warum die Koalition mit der eben beschlossenen Steuerreform wählertechnisch keinen Blumentopf gewonnen hat.

Und jetzt zwei Wochen später kommt man drauf? Seit einem Jahr wussten SPÖ und ÖVP, dass sie in diesem Punkt reformieren müssten, Finanzierung inklusive, und unternahmen genau nichts. Zwei Wochen nach Beschluss glaubt die ÖVP eine neue „Wohltat“ verkaufen zu können, ohne sich fragen lassen zu müssen, was sie davon im Zuge der Steuerreform eigentlich abgehalten hat. Und glaubt die SPÖ nun, vom Schwenk der ÖVP parteipolitisch profitieren zu können, ohne sich fragen lassen zu müssen, warum sie diesen Punkt nicht im Zuge der Steuerreform hartnäckig abgearbeitet hat.

Des Rätsels Lösung liegt wohl darin, dass irgendjemand in der ÖVP glaubte, mit der neuen Ankündigung eines alten Themas in der Hitze des Sommers reüssieren zu können, ohne dass es jemand merkt oder lästige Fragen stellt. Wie billig ist denn das?

Ungefähr so billig wie die Ankündigung eines „Amts der Bundesregierung“ von Staatssekretärin Sonja Steßl (SPÖ und die Berichterstattung darüber. Da wird im Ton einer überraschenden Neuigkeit doch glatt berichtet, dass Steßl im Herbst einen „Grundsatzbeschluss“ will. Und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ist „nicht abgeneigt“.

Es ist auszuschließen, dass sich weder Steßl noch Mitterlehner daran erinnern,  dass dieses Amt erstens auf Seite 93 des Regierungsübereinkommens aus 2013 festgehalten ist und daher keinen Grundsatzbeschluss erfordert; dass diese Amt im Mai 2014 nach einer Regierungssitzung als großer Verwaltungsreformschritt von Werner Faymann und Michael Spindelegger im Pressfoyer angekündigt worden ist; dass es genau vor einem Jahr, also im Juli 2014, bereits die ersten Querelen um das Amt und ein zentrales Durchgriffsrecht auf alle Mitarbeiter des Bundesdienstes gegeben hat.

Daher muss davon ausgegangen werden, dass auch hier der untaugliche Versuch vorliegt, mit einer neuen Verkaufsaktion eines alten Hutes die Laschheit der Koalitionsarbeit zu vertuschen.  Das Amt sollte per 1.Jänner 2016 die Arbeit aufnehmen. Und jetzt kündigt die SPÖ-Staatssekretärin es als ihre Reformgroßtat an?

Selten zuvor haben SPÖ und ÖVP innerhalb weniger Tage so deutlich erkennen lassen, für wie bescheuert sie ihre Wähler halten.

P.S. Das Amt der Bundesregierung wurde übrigens bereits 2005 vom damaligen Vorarlberger Landeshauptmann Herbert Sausgruber (ÖVP) vorgeschlagen. Aber daran wird sich nun wirklich niemand mehr erinnern.

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