Man solle an der Schule das Fach „kritisches Denken“ einführen, damit man lerne, politische Themen und Medienberichte kritisch zu hinterfragen. Für diesen Satz muss man Ex-Richterin und Präsidentschaftsanwärterin Irmgard Griss einfach mögen. Gesagt hat sie ihn ausgerechnet bei einem Hearing im Klub der FPÖ.
Wer, wie ich, jahrelang an einer Fachhochschule mit Maturanten und ihren Journalismusambitionen zu tun hatte, der weiß wie Recht sie hat. Mit einem Übermaß an kritischem oder auch nur eigenständigem Denken habe viele von ihnen die Schule nach der Matura nicht verlassen. Im Gegenteil. Ob da ein eigenes Fach Abhilfe schaffen könnte oder das berühmt/berüchtigte Unterrichtsprinzip a la politische Bildung in allen passenden Fächern, das dann meist weder prinzipiell noch überhaupt aufgegriffen wird, ist fraglich. Notwendig wäre ein Hinführen zum kritischen Denken auf jeden Fall. Aber ist es in dem politischen System, das wir haben, überhaupt gewollt?
Griss wäre also eine prächtige Unterrichtsministerin. Mit ihren Ambitionen auf das Präsidentenamt ist das eine andere Sache. Das zeigte sich in den letzten Tagen der medialen Griss-Festspiele: Griss im Stadtmagazin „Falter“, Griss im ORF, Griss in flächendeckenden Interviews.
Und wenn sie schon so viel Wert auf kritisches Denken legt, dann sollte man ihr auch den Gefallen machen und sich mit ihren Aussagen kritisch auseinandersetzen. Im „Falter“ meinte sie, die parlamentarische Untersuchung des Hypo-Skandals sei deshalb fragwürdig, weil es ohnehin den Bericht des Rechnungshofes und ihrer Kommission dazu gegeben habe, die Abgeordneten nur kurz fragen dürften, während in ihrer Kommission die Auskunftspersonen in Ruhe sprechen konnten. Nur, da gibt es einen Unterschied, den Griss verschwieg: Im U-Ausschuss stehen die Auskunftspersonen unter Wahrheitspflicht. Ein nicht unbedeutender Unterschied, den Griss hätte bedenken können, als sie in diesem Interview das Parlament aufforderte, sich lieber um Zukunftsfragen zu kümmern, weil das Geld ohnehin weg sei.
In Interviews mit der „Presse“ und dem „Kurier“ am Wochenende relativierte Griss ihre Aussagen dann und war bemüht, den Eindruck, sie sei für ein „Aus“ der parlamentarischen Untersuchung, zu verwischen. Das stimme so nicht, das habe sie so nie gesagt. Im „Kurier“-Gespräch mit dem Grünen Werner Kogler hat sie dann selbst, wohl nicht ganz absichtlich, das stärkste Argument für den von ihr so kritisierten Ausschuss genannt: „Ich fürchte, dass der Schaden durch das politische Versagen insgesamt größer geworden ist.“ Eben! Wer hat wo warum versagt? Und genau dies kann nur durch die Kontrollfunktion des Parlaments aufgeklärt werden. In ihrem Bericht zur Hypo hat sie diese Frage, wie sie bei der Pressekonferenz anlässlich der Präsentation selbst gesagt hat, bewusst ausgespart – und lediglich generell dem „System“ die Schuld zugeschrieben.
Für die politische Hygiene in diesem Land ist es aber wichtig, Politiker öffentlich mit ihrem Versagen und ihren Fehlern zu konfrontieren. Sie sind ohnehin nie schadenersatzpflichtig, also geht es „nur“ um politische Verantwortung. Allein die Aussicht, diese einmal tatsächlich übernehmen zu müssen, kann in dem einen oder anderen Fall zu Vorsicht bei Fahrlässigkeit führen.
Wie sehr Griss es drehen und wenden mag, ihre vermeintliche Missachtung der parlamentarischen Kontrolle, wie sie im „Falter“ durchgeklungen ist, hält keinem kritischen Denken stand. Genauso wenig wie das Argument mancher ihrer Bewunderer, sie habe schon Recht, denn sonst würde kein Politiker mehr wagen, Entscheidungen zu treffen, bei denen zwangsläufig Fehler passieren können. Zwischen Fehlern und fahrlässig den „Schaden vergrößern“ liegen aber Welten.
Und dieser Unterschied sollte jedem, der das höchste Amt im Staat anstrebt, doch bewusst sein – genauso wie der Unterschied zwischen dem Gespräch einer Auskunftsperson mit Mitgliedern einer informellen Untersuchungskommission und den Aussagen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Wer in Zeiten wie diesen, den Wert der parlamentarischen Kontrolle anzweifelt, spielt den Regierungsparteien, aktuell eben SPÖ und ÖVP, generell in die Hände. Aber deshalb wird wohl der ehemalige ÖVP-Minister Martin Bartenstein Griss nicht als gemeinsame rot-schwarze Kandidatin vorgeschlagen haben –gewissermaßen als Aperçu zu den medialen Griss-Festspielen letzte Woche.
youtube/Irmgard Griss