Die Idee mag absurd klingen, an den Haaren herbeigezogen ist sie dennoch nicht: Die Verurteilung von Ex-Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) zu drei Jahren unbedingter Haft sollte auch Journalisten, weiblich wie männlich, um das einmal festzustellen und nie wieder hier, zu denken geben.
Es dürfte nämlich nicht wenige geben, die Strasser Nähe gesucht haben, als er noch mächtig und danach gut vernetzt war. Und jetzt? Wir Journalisten beklagen seit Jahren in Österreich wortreich den Niedergang des Qualitätsjournalismus – jedenfalls jene, die ihre Haut nicht am Boulevard zum Markt tragen und in einem Zustand totaler Realitätsverweigerung glauben, dass ihre Arbeit journalistische Qualität hat...
Die meisten anderen aber jammern statt zu fragen, was denn unser eigener Anteil am Niedergang ist. Und da bietet das Strasser-Urteil eine gute Gelegenheit, auf zwei Aspekte hinzuweisen, die aus guten Gründen nie oder nur selten in die Jammerorgie, der wir uns mit Lust hingeben, miteinbezogen werden. Da ist zum einen die Unsitte des Du-Wortes, das Politiker offenbar, so berichten es jedenfalls jüngere Journalisten, immer häufiger und inflationär schon beim ersten Zusammentreffen Medienleuten antragen. Das mag Taktik sein, soll aber jedenfalls eine Vertrautheit herstellen, die von vornherein einen allzu kritischen Blick auf Tun und Lassen in der Politik verstellen soll. Es hat mit der klassischen „Verhaberung“ zwischen Politik und Medien in Österreich, wo ohnehin nach kurzer Berufszeit jeder jeden in der Branche kennt, nichts zu tun.
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Es ist viel raffinierter. Es nimmt den Journalisten gewissermaßen den Wind aus den Segeln. Es verunsichert im Umgang und schafft Unbehagen. Soll die Frage an den Politiker in der Öffentlichkeit per Sie oder per Du gestellt werden? Was ist jetzt ehrlicher? Meist wird, auch im Fernsehen, für das Sie entschieden, obwohl es klar ist, dass es sich dabei schon allein um eine Täuschung der Öffentlichkeit handelt. Es bringt den fragenden Journalisten jedenfalls in eine unbequeme Situation. Es wäre daher an der Zeit zu sagen: Haltet Abstand, bitte! Es wäre an der Zeit, dass vor allem Neuankömmlinge in der journalistischen Branche – welchen Alters immer – beginnen, das „Du“ zu verweigern.
Am besten lässt sich dies dadurch erreichen, dass man entweder das Angebot einfach überhört oder wortlos den Kopf schüttelt, um nicht ausdrücklich unhöflich zu sein. Schon klar, der Zeitgeist hat gewisse Regeln bereits außer Kraft gesetzt in einer Gesellschaft, in der jeder mit jedem per Du sein kann, in der auch Erwachsene und Ältere ungefragt mit Du angesprochen werden und sich selten wehren können, ohne zickig oder altmodisch zu erscheinen und verletzend zu wirken. Dennoch wäre es vor allem zwischen Politik und Medien der schlechteste Trend nicht, würde man zu alten Regeln zurück kehren: Jüngere tragen Älteren nie das Du-Wort an, Männer nie Frauen. So schwer kann das ja nicht sein.
Der zweite Aspekt betrifft die Unsitte vieler Medienbetriebe, zu allgemeinen Politikerauftritten, bei denen Fragen zugelassen sind, wie Ministerrat, Pressekonferenzen und dergleichen entweder die jüngsten Mitarbeiter oder die im Redaktionsbetrieb entbehrlichsten zu entsenden. Diese Unsitte lässt sich genau datieren. Sie begann mit dem Kabinett Wolfgang Schüssel I, in dem offenbar die Order ausgegeben oder das Verhalten des Bundeskanzlers zur Nachahmung empfohlen wurde, auf kritische Fragen von Journalisten gar nicht einzugehen oder die Fragenden der Lächerlichkeit preis zu geben. Das hatte zur Folge, dass der Neuigkeitswert und der Berichtsfaktor dieser Auftritte gegen Null tendierte.
Deshalb begannen die Redaktionen, nur mehr Journalisten abzustellen, deren einzige Aufgabe es wurde, Wortspenden zu notieren. Damit begann ein Qualitätsverlust, an dem wir alle beteiligt waren. Es wäre daher an der Zeit und angesichts der komplizierten Sachfragen in allen Politikbereichen ein Gebot der Stunde, zu den Frage-Antwort-Auftritten in der Politik nur mehr die kenntnisreichsten und erfahrenen Journalisten zu entsenden. Das müssen nicht unbedingt nur die älteren sein, es gibt wirklich Kompetente in jeder Altersgruppe. Aber es müssen Journalisten sein, die sich nicht mit ausweichenden Antworten abspeisen lassen, die Entstehungsgeschichte und Hintergrund eines Sachproblems kennen und so lange nachhacken bis sie möglichst nahe an der relevanten Antwort und somit an der „Wahrheit“ sind.
Dazu braucht es aber ein gewisses Standing, eine Absicherung in der Redaktion und ein gutes Maß an Selbstvertrauen. Staat die jüngsten und sozial am wenigsten abgesicherten Mitarbeiter loszuschicken, sollten wieder Ressortchefs und andere Auskenner ausrücken. Das würde, vielleicht nicht schlagartig, aber längerfristig die Qualität der Fragen und der Antworten und somit die Qualität der Berichterstattung verbessern. Und die Taktik des vorgetäuschten „Du“ erst gar keine Chance geben. Eine solche Trendwende ganz ohne finanziellen Aufwand in den Redaktionen würde mehr für eine Steigerung der Qualität tut als das ganze Gejammer über deren Verlust.
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