„Umfrage-Hammer: Die Deutschen mögen Kurz lieber als Merkel“, „Kurz hätte in Deutschland mehr Wähler als Merkel“, „Kurz ist den Deutschen lieber als Merkel“. Diese Schlagzeilen der vergangenen Woche in österreichischen Medien waren Balsam für die heimische Seele. Sie bezogen sich auf eine Umfrage des deutschen INSA Instituts, wonach bei einer Sonntagsfrage 38 Prozent eine fiktive „Liste Kurz“, aber nur 32.5 Prozent die Union wählen würden. Ob das wirklich als Gütesiegel für Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) anzusehen ist, wenn die größte Sympathisantengruppe in der extrem rechtspopulistischen AfD zu finden ist (81 Prozent) kommt wahrscheinlich auf den Standpunkt des Betrachters an.

Überrascht davon kann jedoch niemand sein, der Mittwochabend das „Sommergespräch“ auf Puls 4 mit Corinna Milborn gesehen hat. Ein Gespräch übrigens, das wieder inhaltlich nichts Neues brachte, aber allein schon in einer neuen Erkenntnis, so wie es ablief, seine Berechtigung hatte: Kurz machte von Anfang an den Jörg Haider. Was das heißen soll? Wer sich erinnern kann, weiß es: Zurechtweisung des Gegenübers, Beurteilung der Interviewerin, Gegenfragen, Verwirrung mit Zahlen, Herablassung wie „Simplifizierung finde ich ja super, aber nicht so direkt“, auf Gegenfragen nicht eingehen, plötzlicher Schwenk zu bekannten Propagandasätzen.

An dieser Gesprächsmethode des ehemaligen FPÖ-Partei- und Klubchefs, des ehemaligen Kärntner Landeshauptmanns, des ehemaligen BZÖ-Politikers, Jörg Haider, sind wir in den neunziger Jahren jedes Mal glorios gescheitert. Zu viel Hartnäckigkeit und Angriffigkeit geht in jedem Fall beim Publikum zum Nachteil des fragenden Journalisten aus. Milborn weiß das sicher. So kam sie gar nicht dazu, Kurz im Zusammenhang mit der geplanten Reform der Sozialversicherung zu fragen, wie er denn plötzlich auf die Verkleinerung der Zahl der Solzialversicherungsfunktionäre von 2000 auf 400 kommt, wenn die ganze Zeit über von 1000 Funktionären und 200 die Rede war. Nur um ein Beispiel zu nennen. Sie kam auch nicht dazu, auf folgendes entsprechend zu reagieren. Kurz: „Ich würde Sie bitten, Zuwanderung, Asyl und illegale Migration auseinander zu halten.“ Die adäquate Reaktion wäre gewesen: Mach ich gerne, sobald Sie in der Regierung und in der FPÖ dafür sorgen. Denn im Newsspeak der Regierung sind seit einiger Zeit alle „Nicht-Österreicher“, denen man alles mögliche streichen müsse, weil sie „noch nie ins Sozialsystem eingezahlt haben“. Damit setzt man Flüchtlinge mit illegalen Migranten gleich, ganz offiziell. Von wegen auseinanderhalten!

Aber wie gesagt, der Mehrwert dieses „Sommergesprächs“ lag nicht im Inhalt, sondern in der offensichtlich geänderten Strategie des Sebastian Kurz. Sie läuft auf eine absichtliche Delegitimierung des Gegenübers hinaus. Da passte dann auch ein ziemlich unvermittelter, aber offenbar absichtvoll angebrachter Satz hinein, der nicht wirklich mit irgendwas zu tun hatte: „Bin nicht talentiert, die Rolle des Guten zu spielen.“ Damit es nur alle künftigen Gegenüber auch wissen. Sollte Kurz die Absicht gehabt haben, bei Milborn auszuprobieren, wie die neue Gesprächstaktik wirkt, dann ist seine Rechnung voll aufgegangen.

Neu ist sie ja nicht, wie wir seit Jörg Haider wissen, aber sie wirkt: Herabsetzen, verunsichern, einschüchtern mit Aussagen, deren Wahrheitsgehalt akut im Studio nicht geklärt werden können, angreifen, abfragen. Armin Wolf hätte vielleicht ein „Die Fragen stelle noch immer ich“ eingeworfen, aber das wäre laut Norbert Steger, dem neuen Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrats, „ungehörig“ gewesen.

Jedenfalls wird in nächster Zeit wieder die Inflation an „Sommergesprächen“ über die TV-Kanäle hereinbrechen. Wer immer sie führt, sollte sich die Sendung von Puls 4 ansehen – als Anschauungsunterricht was zu vermeiden ist, um vielleicht doch noch zu Inhalt und Neuigkeitswert zu kommen. Denn wenn diese „Sommergespräche“ so ablaufen wie die Doppelinterviews von Kurz und Vizekanzler Heinz Christian Strache oder von Kurz zu einem Jahr ÖVP-Obmannschaft können sie nur wieder das Desinteresse an Politik fördern. Flächendeckend in Serie, mitunter auch am selben Tag, die immer gleichen Aussagen sind geeignet, das Desinteresse an der Politik zu fördern. Und das ist in einer Demokratie nicht gut.

Im übrigen würde ich jenes Medium zu meinem Favoriten erklären, das als erstes den Mut hat, zu sagen: Sorry, das Interview hat zu wenig Inhalt und zu wenig Neuigkeitswert. Wir veröffentlichen nicht. Die TV-Sender könnten die Gespräche aufzeichnen und danach entscheiden. Die Printmedien haben diese Möglichkeit ohnehin immer. Das würde die Gesprächskultur entscheidend verändern und die Phrasenproduktion reduzieren.

Allerdings: Hätte Puls 4 nach der Aufzeichnung mit Kurz so mutig gehandelt, hätten wir vielleicht erst viel später bemerkt wie viel Haider Kurz in sich entdeckt hat.

Glaser/ÖVP

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