Land der Heuchler, zukunftsreich!

Zugegeben, der Titel ist nicht wirklich originell. Jedoch, er drängt sich auf. Das IMAS Institut veröffentlichte am Dienstag eine Umfrage, wonach – zusammengerechnet – 91 Prozent der österreichischen Arbeitnehmer mit ihren Chefs zufrieden wären, 47 Prozent sogar sehr. Wer soll das denn glauben? Nicht, dass die Umfrage getürkt wäre. Das ist damit nicht gemeint.

Die Zahlen werden schon stimmen. Wie aber über sie berichtet wird, ist eine andere Sache. Unkritisch und in Audiomedien geradezu mit stolzgeschwellter Stimme. Was sind wir doch für ein tolles Land, kann man da heraus hören. Fein! Aber es gibt auch eine andere Umfrage, durchgeführt vor einiger Zeit, die diese 91 Prozent relativiert: Zweidrittel der Befragten gaben damals an, nie die eigene Meinung zu sagen – auch Angst vor persönlichen und beruflichen Nachteilen.

Stellt man die Super-Chef-Umfrage vor diesen Hintergrund, dann sieht die Sache schon anders aus. Wenn Zweidrittel auf Befragen  aus Angst nicht die Wahrheit sagen, dann kann man sich ausrechnen, wie auf die Frage „Finden Sie Ihren Vorgesetzten gut?" reagiert wurde. „Natürlich", man weiß ja nie, wer solche Umfragen zu Gesicht bekommt, auch wenn sie anonym sind. Lieber auf der sicheren Seite als auf der ehrlichen!

Und die IMAS-Umfrage selbst zeigt die Heuchelei auf, wenn man sie denn finden will. Halten wir fest: 91 Prozent sind mit den Vorgesetzten zufrieden, aber bei den wirklich wichtigen Dingen in einer Berufs- und Arbeitsbeziehung – der Unterstützung und der Förderung – sind es plötzlich nur mehr 41 Prozent.  Die Mehrheit findet also, dass sich ihre Chefs nicht wirklich für sie einsetzen und an ihrem beruflichen Weiterkommen nicht interessiert sind. Wie passt denn das zusammen? Gar nicht, es sei denn die Mehrheit der 91 Prozent hat geflunkert.

Gut, für diese Art der Heuchelei gibt es im Land mit dem Wahlspruch „Man weiß ja nie", vielleicht noch eine Erklärung. Für eine andere, die in den letzten Tagen aufgefallen ist, aber nicht: Aus der Werbung an den Fenstern der Bank Austria in Wien sind die Sujets mit Conchita Wurst, der Tasche und dem Werbeslogan „Cash Back" verschwunden. Die Werbung war irgendwie witzig, das Wortspiel von cash bag und cash back kreativ. Angeblich wurde die Bilder von Tom Neuwirth als Dragqueen nach Protesten der Bankkunden und der Androhung, Geld abzuziehen, entfernt – die Kampagne eingestampft. Angeblich, weil nicht überprüft. Wahrscheinlich würde die Bank sagen, die Kampagne sei bereits ausgelaufen. Aber ganz so wird es wohl nicht gewesen sein, weil zu flächendeckend und zu teuer für so eine kurze Laufzeit.

Um ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ein Unternehmen hat das Recht, mit seinem Werbegeld zu machen, was es will. Es hat die Pflicht, sensibel auf Kundenwünsche zu reagieren. Panik, auch hier sei die Meinungsfreiheit in Gefahr, wäre völlig unangebracht.

Es geht auch nicht um die Bank. Es geht um ein Land, das vor etwa acht Monaten fast an dem Jubelschrei „Wir sind die Gewinner",  „Wir  sind Song Contest", „Wir sind Toleranz" erstickt wäre, so hysterisch wurde er hinaus posaunt.  Eine Diskussion nach der anderen beschäftigte sich damit, wie Österreich durch den Sieg beim Meistersinger-Wettbewerb „verändert" worden sei; welche Botschaft der Toleranz und Offenheit man doch in die Welt sende; wie gut das Land doch jetzt international dastehe.

Und dann sind offenbar ausreichend viele Österreicher so verbohrt, dass sie nicht einmal Augenzwinkern und Witz in der Werbung erkennen oder akzeptieren. Sie soll anstößig gewesen sein? Was für eine Heuchelei!

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