Sollten die Meinungsforscher am kommenden Sonntag in Deutschland und am 15. Oktober in Österreich recht behalten und sollte sich die veröffentlichte Meinung zufälligerweise mit der öffentlichen, also jener der Mehrheit der Wähler, decken, dann werden die beiden Regierungsparteien SPD und SPÖ in Opposition gehen - müssen.

In beiden Ländern scheint ein guter Teil der Wählerschaft im Allgemeinen und der Sozialdemokraten im Besonderen die Regierungszusammenarbeit mit den Christdemokraten – ob als Senior- oder Juniorpartner – satt zu haben. Das ist insofern verwunderlich, als sich die Arbeit der beiden „großen“ Koalitionen in den letzten Jahren nicht vergleichen lässt. In Deutschland funktionierte diese Art der Zusammenarbeit in der Sachpolitik gut. Das beweisen alle Wirtschaftsdaten. Politisch zahlte die SPD dafür wahrscheinlich einen hohen Preis, weil sie ihre Handschrift in Angela Merkels Politik nicht richtig dargestellt hat. Merkel hat die SPD zwar in der Sache „leben“ lassen, etliche Positionen von ihr übernommen, sie aber so auch ruhig gestellt.

In Österreich funktionierte die rot-schwarze, also quasi Noch-Große Koalition, in der Sachpolitik nur mit Hängen und Würgen. Weder hat über Jahre hinweg der eine Koalitionspartner den anderen sachpolitisch „leben“ lassen, noch blieb in letzter Zeit der Juniorpartner ÖVP „ruhig“. Bezeichnenderweise schien man sich in dem eben ablaufenden Wahlkampf in Deutschland nicht so sehr mit der Frage beschäftigt zu haben, ob die Vertreter der Union mit jenen der SPD „können“ oder nicht und wenn nicht, warum nicht. In Österreich psychologisiert man da stärker herum.

Hier wird seit genau 30 Jahren in immer wiederkehrenden Endlosschleifen festgestellt, dass SPÖ und ÖVP eben nicht mit einander „können“, dass sie sich nicht ausstehen können und ja, geradezu verfeindet sind, gefangen in einer von Wahlrecht und dem Inakzeptablen an der FPÖ erzwungenen Zwangsehe. Die Regierungsarbeit ist seit 1987 – mit der Unterbrechung von sechs Jahren ÖVP/FPÖ/BZÖ – von einer phasenweise unerträglichen passiven Aggressivität geprägt.

In beiden Staaten aber hat die Rolle der Opposition einen erstaunlich geringen Stellenwert. Als in Österreich jüngst Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ankündigte, bei Verlust der Führung in der kommenden Nationalratswahl bliebe seiner Partei „nur die Opposition“, da schreckte der Bezirksvorsteher vom Burgenland, Landeshauptmann Hans Niessl, hoch: „Opposition ist Mist“. Und der Rayonsinspektor des Burgenlandes, Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, konnte dem viel abgewinnen. (Zur Erklärung: Das Burgenland hat weniger Bewohner als zwei Wiener Außenbezirke). Sofort wurde zur Erklärung und vielleicht auch Unterstützung Hans Müntefering zitiert, der diesen Ausspruch bei seiner Wahl zum SPD-Chef als Nachfolger Gerhard Schröders beim Parteitag 2004 getätigt hat.

Das sollte schon zu denken geben. In einer Demokratie, deren Wesen im Machtwechsel bestehen sollte, müsste eigentlich das Wechselspiel von Regierung und Opposition ein hochgeschätzter und unverbrüchlicher Bestandteil sein. Es sei denn – und dies steht zu befürchten – es geht nicht um den Staat als solchen und die Gestaltung von Politik, sondern um Posten, Klientelpolitik, Vergünstigungen. Jede Partei, die von den Wählern aus irgendwelchen Gründen abgestraft wird, sollte jedoch die Chancen der Jahre auf der Oppositionsbank zur Selbstreflexion und inneren Reform nützen.

Zugegeben in Österreich ist dies aufgrund der Verflechtungen von Rot und Schwarz in vielen Außerregierungsbereichen wie Kammern etc. schwierig. Und zugegeben, die ÖVP benötigte in den 70iger Jahren fast neun Jahre bis sie ihre Rolle als Oppositionspartei wirklich gefunden hat. Von 1979 bis 1986/87 aber hat sie diese auf kraftvolle Weise ausgeübt. In diesen Jahren wurden eine Reihe von Skandalen öffentlich, an die sich heute wirklich nur mehr die Älteren erinnern. Es waren im Grunde die „saubersten“ Jahre in Österreich seit Jahrzehnten. Dies sicher auch, weil innerhalb der Sozialdemokratie in manchen Kreisen das Interesse an einer „Bereinigung“ vorhanden war. Im Nationalrat aber hatte die ÖVP als Opposition in diesen Jahren etliche Sternstunde. Insgesamt haben die Oppositionsjahre der Christdemokraten damals dem Land gut getan.

Im Vergleich dazu konnte die SPÖ die kurzen Jahre der Opposition 2000 bis 2006 nie richtig für ein markantes Profil nützen. Wahrscheinlich waren die Zeit zu kurz, der anfängliche Schock über den Machtverlust 2000 zu lang, um die verbleibenden Jahre zu nützen.

Es ist ein derart trauriges Armutszeugnis, wenn ein SPÖ-Funktionär bei einer Wahlkampfveranstaltung einen Journalisten jetzt wissen lässt: „Opposition können wir nicht.“ Was hat der Mann, was haben Funktionäre, für ein Demokratieverständnis? Darauf kann es nur eine Antwort geben: Lernen Sie, Opposition! Es ist wichtig für die Entwicklung Österreichs. Es ist wichtig für eine langjährige Regierungspartei, was übrigens nach 30 Jahren in gleicher Weise für die ÖVP gelten würde.

Alexandru Nika/shutterstock

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