Eine bekannte Österreicherin ist schockiert. Noch nie ist ihr, die einen weit in das Kleinkindalter zurückliegenden Migrationshintergrund hat, Ähnliches passiert. Noch nie. Jetzt schon. In Wien nähert sich ihr auf der Strasse eine ältere, ärmlich gekleidete, Frau. Die bekannte Österreicherin glaubt, die Frau werde sie gleich um Geld bitten. Diese jedoch lehnt sich nur vor, ist nur wenig vor ihrem Gesicht entfernt und zischt: „Und, wann fahr’ma wieder Z’haus?“
Die bekannte Österreicherin ist dermaßen verblüfft, dass ihr die Worte fehlen. Hätte sie welche in diesem Moment gefunden, sie hätte der Frau in breitem Wiener Dialekt oder auch im besten Hochdeutsch, je nach Wahl, ins Gesicht schleudern können: „I bin z’haus“ oder „Ich bin zu Hause“.
Ihr prachtvolles dunkles Haar genügte für die Aggression dieser Frau auf der Strasse. Nichts sonst an ihr, nicht die Kleidung, elegant europäisch, nicht das Auftreten oder irgendetwas anderes deutet bei dieser bekannten Österreicherin auf ein Anders-Sein hin. Nur die schwarze Haarpracht und vielleicht feinere Gesichtszüge als in Österreich üblich.
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Sind wir wieder so weit? Dass schon wieder die ganz gewöhnliche Menschen, nicht die brutalen, nicht die rassistischen, nicht die fehlgeleiteten, sich berechtigt fühlen, ihre Frustration, ihre Aggression, ihre Wut auf was immer, wohl auch ihre Ängste, an dem Anderen auslassen zu können? An den Schwarzhaarigen, den Rothaarigen, den Behinderten, an dem, der mehr hat, oder dem, der weniger hat?
Sind wir schon wieder so weit? Dass jeder glauben kann, den Anderen muss kein Respekt mehr entgegen gebracht werden? Dass es sich jeder erlauben kann, seine Minderwertigkeitskomplexe mit Überwertigkeitsgefühlen anderen gegenüber kompensieren zu dürfen? Dass „Einheimische“ sich einfach so allen anderen überlegen fühlen können? Die bekannte Österreicherin ist nicht weniger „einheimisch“ nur weil sie kein typisch österreichisches Gesicht und eine schwarze Haarfülle hat.
Um es ganz brutal auszudrücken: Sind wir wieder so weit, dass die Bösartigen wieder aus den dunklen Seiten des Landes hervor kommen? Und sich gut dabei fühlen, ihre Niedertracht öffentlich ausleben zu können, weil in dem gegenwärtigen politischen Klima Ausländer, Flüchtlinge, Asylwerber keinen Schutz vor Gehässigkeit mehr genießen?
Fast scheint es so, als hätten viele Menschen, nicht nur in ärmlicher Kleidung auf den Strassen, nein auch in gutbürgerlichen Kreisen, nur darauf gewartet, eine Lizenz zur Bosheit zu bekommen. Gehässigkeit ist wieder salonfähig. Wobei die in den Salons gar nicht bedenken, dass diese Gehässigkeit auch einmal sie treffen könnte.
Was geschieht mit uns? Hatten wir eine solche Phase der politisch genehmigten Gemeinheit anderen gegenüber nicht schon? Man muss nur Helmut Qualtingers and Carl Merzs „Herr Karl“ aus 1961 nachlesen.
Phasen der Unsicherheit und der Ängste wie jetzt bringen in vielen Menschen das Beste hervor, in vielen anderen aber auch die schlechtesten Seiten. Wenn wir aber einmal anfangen, ohne inneres und äußeres Korrektiv diese schlechten Seiten auszuleben – und sei es nur verbal – sind wir alle gefährdet. Denn es gilt nach wie vor – man kann es nicht oft genug wiederholen – der Text des deutschen Theologen Martin Niemöller:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
An diesen Text sollten vor allem jene Wohlstandsbürger denken, die jetzt das Ende des Respekts vor dem Anderen und das Ende des politisch Korrekten bejubeln. Es kann eine Zeit kommen, in der sie dann die Opfer sind.
Fotolia/© Laurin Rinder