Mit seiner Ausgabe letzte Woche hat der „Spiegel“ gleich zweifach für Aufregung in den österreichischen Medien gesorgt. Nicht nur in Österreich, aber auch. Zum einen wurde, allerdings in abgeschwächter Form, in einschlägigen Kreisen die Titelgeschichte der Deutschland-Ausgabe diskutiert und vor allem kritisiert. Zum anderen sorgte die Cover-Story der Österreich-Ausgabe in einigen Medien und vor allem in den Postings für Aufregung.

Der Aufmacher-Titel der deutschen Ausgabe: „Es war einmal ein starkes Land. Fußball. Politik. Wirtschaft“ wurde in Österreich nicht wie in Deutschland unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit des Wochenmagazins diskutiert, sondern unter dem Gesichtspunkt, ob er nicht die Geschäfte der AfD und der Rechten beflügelt. Auf der deutschen Plattform „Meedia“ schrieb Marvin Schade: "Erfolgreich ist, was Aufmerksamkeit schafft: Nach diesem Prinzip scheint auch Deutschlands Nachrichtenmagazin Nr.1 zu funktionieren. Dass der Spiegel mit seiner Titelseiten-Politik auf Provokation und Zuspitzung setzt, ist eine Sache. Problematisch wird es, wenn das Cover verglichen mit der Story im Heft eine Mogelpackung ist...!"

Nun kann man tatsächlich die siebenseitige Titelgeschichte als einen etwas zu sehr bemühten Versuch sehen, die drei Bereiche Fußball, Politik und Wirtschaft zu einem einzigen Bild des Jammers zu kombinieren. Tatsache ist allerdings doch, dass heute nicht mehr gilt, was noch vor der letzten Bundestagswahl selbstverständlich schien: Erstklassiger Fußball, einsamer Hort der politischen Stabilität mit starker Führung in Europa durch Angela Merkel, nachahmenswerte Wirtschaftsentwicklung ohne veritable Krise der Autoindustrie. Jetzt, nichts mehr davon: Gruppenletzter mit Heimkehr-Ticket bei der Weltmeisterschaft, unverständlicher Machtkampf zwischen Merkel und Innenminister Horst Seehofer, die sich wegen der aktuell nicht vorhandenen Dramatik im Flüchtlingsbereich jeder Logik entzogen – Destabilisierung der Bundesregierung inklusive – sowie Verhaftung eines Spitzenmanagers der Autoindustrie.

Die Kollegen haben sich viel Mühe gegeben, über diese sieben Seiten das wunschlose Unglück der Politikerin Merkel mit dem von Teamchef Joachim Löw unter der Klammer „Selbstherrlichkeit“ zu verknüpfen, aber das eigentlich Bedenkliche war der Titel: Wer der Öffentlichkeit verkündet, „Es war einmal ein starkes Land“ und das auch noch mit Fußball begründet, der verharmlost die logische Reaktion.

Im Umkehrschluss kann das nur ein Werbeslogan frei ins Haus der rechten Kräfte sein: Make Germany great again! Was ein solcher Slogan bewirkt, kann jeder Interessierte täglich an der Entwicklung der USA und Donald Trumps „Make America great again“ ablesen – wenn er sich schon nicht an Ähnliches in den dreißiger Jahren in Deutschland UND in den USA erinnern will. Die Frage, die es zu beantworten gilt: Muss eine Redaktion unter Aufmerksamkeitszwang die Wirkung ihrer Titel berücksichtigen oder nicht? Entstehen solche Signale aus Unachtsamkeit oder Unwissenheit oder werden sie bewusst in Kauf genommen?

Auch wenn man außerhalb Deutschlands nicht verstehen kann, wie eine Sportveranstaltung, wie ein Fußball-Wettbewerb aus einem starken Land ein schwaches machen kann, muss man respektieren, dass dies die Leserschaft in Deutschland in die Titelgeschichte „hinein ziehen kann“, wie man in der Branche sagt. Überzogen ist der Zusammenhang doch. Die möglichen Konsequenzen aber blieben unbedacht. Das löst das journalistische Dilemma, was alles zu bedenken sei, nicht auf. Dennoch hätte man gerade in der jetzigen Situation in Europa ein weniger direktes Zuspiel an den politisch rechten Flügel verlangen dürfen.

A pros pos: Rechts. Die Österreich-Story und das Titelbild „Das neue Österreich: Auf dem rechten Weg“ schlug hierzulande einige Wellen. Wenig überraschend erregte sich vor allem die Leserschaft in den verschiedenen Foren über das Bild, das sich Spiegel-Journalist Ullrich Fichtner nach wochenlanger Recherche im Land gemacht hat. Zugegeben, der Titel „Kleiner Brauner“ ist in seiner Zweideutigkeit beachtlich raffiniert. Was ein „Kleiner Brauner“ ist, weiß in dem Land, das so stolz auf seine gepflegte Kaffeehauskultur ist, jeder. Eine von mindestens sieben oder acht Arten von Kaffee, die vielleicht nicht jeder Tourist, aber sicher die meisten Wiener kennen. Man kann den Titel aber natürlich auch als Zuschreibung für ein Land verstehen, das zwar klein ist, sich aber der historisch belasteten Farbe „braun“ noch immer nicht – und seit dem Regierungswechsel 2017 erst recht nicht – entledigt hat. In Politik und Gesinnung.

Warum sich darüber hinaus aber so viele über Artikel und Cover-Titel aufregen, entzieht sich jeder Logik. Das Mantra der Regierungs-Adoranten ist ja seit Monaten: Die Wähler wollten im Oktober 2017, dass eben rechts regiert wird. Sie haben die beiden Parteien ÖVP und FPÖ in Erwartung eines Rechtsrucks gestärkt. Jetzt ist er da. Jetzt wird er beschrieben – und man regt sich darüber auf. Eigentlich wäre bei der Mehrheit, wie die FPÖ jetzt immer behauptet, ein Seufzer der Erleichterung eher angebracht.

Es darf daran erinnert werden, dass bereits dem Säulenheiligen der österreichischen Politik, dem legendären sozialistischen Bundeskanzler der siebziger Jahre, Bruno Kreisky, der Satz zugeschrieben wurde: „So lange ich in Österreich regiere, wird rechts regiert“. Das soll er seinerzeit den linken Drängern und Stürmern der eigenen SPÖ entgegen gehalten haben. Ein Dementi ist nicht in Erinnerung.

Worüber also regen sich die jetzt so Erregten dann auf? Einfach zu erklären: Darüber, dass das Bild des „neuen Österreich“ in Deutschland – und dann ausgerechnet im „linken“ Spiegel – entworfen worden ist. Da könnt’ ja jeder kommen, lautet eines der beliebtesten Bonmots in Österreich. Oder: Wo kämen wir da hin?

Wir kommen genau dorthin, wo die Gegenfrage gestellt werden muss: Was wäre, wenn der Rechtsruck unter der neuen Regierung nicht so deutlich ausgefallen wäre? Wie viel wäre dann in den Foren von Enttäuschung zu lesen sein? Jetzt hat das Land, was es angeblich wollte, und es ist auch wieder nicht recht, wenn jemand den neuen Zustand so beschreibt. Was stört die Menschen daran? Immerhin hat eine Umfrage im vergangenen Jahr ergeben, dass der Anteil jener Österreicher, die nichts gegen ein autoritäres Regime hätten, innerhalb von zehn Jahren um zehn Prozent von 26 Prozent auf 46 Prozent angestiegen ist. In den „Spiegel“ will man offenbar nicht schauen.

pixabay/ComFreak

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