Jeder Politiker, jede Partei, jede Regierung hat ein absolutes Recht auf die wirkungsvollste Inszenierung der Botschaft – und sei sie noch so durchsichtig. So geschehen vergangene Woche im Bundeskanzleramt beim Großauftrieb der Koalitionsspitze zur Verkündigung der Schließung von sieben Moscheen. Eine Pressekonferenz um acht Uhr Früh, unter „eilt“ einberufen am Vorabend, garantiert maximale Dramatisierung; der „heilige“ Freitag maximale Unruhe und Aufmerksamkeit der moslemischen Gemeinschaften; zwei Tage vor einem Besuch des Bundeskanzlers in Israel Applaus dort wegen des Kampfs gegen den „politischen Islam“.

Das war und ist der häufigste Begriff, mit dem die Koalition die Schließung der Moscheen und die Ausweisung von Imamen begründet. Klingt gut in den Ohren einer ängstlichen Wählerschaft, jedenfalls wirkungsmächtiger als die Begründung, in den betreffenden Moschen fehle die „positive Grundeinstellung zu Staat und Gesellschaft“. Wie soll diese definiert werden? Und kann man wirklich behaupten, diese positive Grundeinstellung sei in ihrer schwammigen Formulierung bei allen Österreichern vorhanden? Das kann bald jemanden vorgeworfen werden und was dann?

Viele der verkündeten Maßnahmen haben ihre Berechtigung und ihre Richtigkeit. Ein schaler Geschmack bleibt nur bei der Begründung der Aktion jetzt. Es sei bedauerlich, so verkündete Bundeskanzler Sebastian Kurz, dass das Kultusamt seine Möglichkeiten in der Vergangenheit nicht ausreichend genützt habe.

Diese Vergangenheit umfasst den Zeitraum seit Anfang 2015 bis jetzt. Seit dem Islamgesetz kann das Kultusamt Moscheen auflösen und das Innenministerium Imame ausweisen. Da erhebt sich schon die Frage, wer wenn nicht Kurz in dieser Vergangenheit für Integration und Gesetz verantwortlich war? Wäre ihm bei der Pressekonferenz diese Frage gestellt worden, hätte er wahrscheinlich darauf verwiesen, dass er an der mangelnden Kooperation der SPÖ-dominierten Stadt Wien gescheitert sei; und dass das Kultusamt personell und kompetenzmässig nicht ausreichend ausgestattet gewesen sei. Deshalb könne erst diese Regierung „erstmals von diesem Recht Gebrauch machen“.

Gut, das Kultusamt fällt in die Zuständigkeit des Bundeskanzleramts und nunmehr in jene von Bundeskanzleramtsminister Gernot Blümel. Allerdings hätte niemand Kurz als Außenminister daran hindern können, innerhalb der Koalition auf eine Verbesserung im SPÖ-besetzten Bundeskanzleramt zu drängen. Notfalls auch außerhalb via Druck durch die Öffentlichkeit. Ein massiver Einsatz des Außenministers von 2015 bis 2017 ist jedoch nicht überliefert und auch nicht erinnerlich.

Das alles sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es soll ja niemandem Sand in die Augen gestreut werden, nur weil sich mit dem modernsten Kampfbegriff „politischer Islam“ zur Zeit so viel politisches Kleingeld wechseln lässt.

Wie das geht erklärte die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer schon vor Jahren in einem Interview mit „Zeit Online“ im Zusammenhang mit einem entsprechenden Vorstoß der bayrischen CSU 2016: „Die Partei subsumiert unter diesem Begriff, wie es scheint alles, was ihr am Islam und bestimmten Muslimen irgendwie anstößig erscheint – von der Forderung nach getrennten Badezeiten für Frauen in öffentlichen Schwimmbädern. . .bis zu terroristischer Gewalt.“ In dieser Unbestimmtheit werde der Begriff völlig unbrauchbar. Hier werde ein „Monster kreiert, das überall und nirgends ist“. Das sei ein schwerer politischer Fehler.

In der Unbestimmtheit aber liegt das Kalkül. Der Begriff politischer Islam wird oft mit islamischen Fundamentalismus gleichgesetzt. Dann aber drängt sich die Frage auf, warum nicht auch von einem „politischen Christentum“ die Rede ist? Es gibt auch christliche Fundamentalisten. Die Antwort ist einfach: Weil dem „politischen Islam“ ohne jede Differenzierung Gewaltbereitschaft zugeschrieben und er daher als Bedrohung gesehen wird – und damit lässt sich trefflich Politik betreiben. Ist diese Gewaltbereitschaft aber nicht mehr eine Frage der Macht denn der Religion?

Was aber wäre ohne diese Macht- und Eroberungsfrage der Unterschied zum „politischen Christentum“? Eine religiös legitimierte Gesellschafts- und Staatsordnung? Ist nicht seit 1956 das offizielle Motto der USA „In God we trust“ („Auf Gott vertrauen wir“)? Heißt es nicht im amerikanischen Treueschwur „one nation under God“? Was wäre denn noch für eine „religiös legitimierte“ Gesellschaft notwendig?

Merkmale, die den politischen Islam ausmachen, wenn man ihn nicht aus politischem Opportunismus mit der Gewaltkomponente ausstattet, finden sich auch im christlichen Fundamentalismus: Gegen Trennung von Kirche und Staat; gegen Individualismus, gegen Pluralismus, gegen die Gleichstellung der Geschlechter und somit auch gegen Menschenrechte.

Da ist die Diskussion schon von einer ungeheuren Heuchelei getragen. Zur gleichen Zeit, in der von den Muslimen - zu Recht - die totale Entpolitisierung der Religion gefordert wird, findet man Gefallen an einem Begriff wie „Christdemokratie“.

Er wurde erst kürzlich von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban in die Diskussion geworfen und offenbar mit so viel Wohlwollen aufgenommen, dass die Verdrehung der Begriffe nicht einmal thematisiert wurde. Orban hat die Christdemokratie als Alternative zu seiner früher propagierten „illiberalen Demokratie“ angeboten, weil sie offenbar besser klingt. Gleichzeitig hat er aber das „Ende des liberalen Zeitalters“ ausgerufen. Sollte er die liberale Demokratie mit seiner Christdemokratie ersetzen wollen, so wäre diese genau das Gegenteil dessen, was Orban anstrebt: Nämlich die illiberale Demokratie, in der der Staat nicht nur in die Wirtschaft, sondern auch Gesellschaft stärker eingreifen kann; in der Grundrechte der Bürger außer Kraft gesetzt werden und der Einzelne sich dem Wohl der Gemeinschaft unterzuordnen hat. Christdemokratie aber wie sie von allen christdemokratischen Parteien Europas seit Jahrzehnten hinweg praktiziert wird, vertritt das genaue Gegenteil dessen, was Orban vorschwebt: Zurückdrängung des Staates, Wahrung der Rechte, Stärkung des Einzelnen.

Entweder es handelt sich um eine bewusste Verdrehung der Begriffe, weil Christdemokratie eben westlich kompatibler klingt, oder aber Orban will langfristig auf die Trennung von Religion und Staat verzichten. Weil der Kampf gegen den „politischen Islam“ es eben erfordere und dieser sich bei der großen Mehrheit der Bevölkerung gut verkaufen lässt.

Was bei der Bevölkerung gut ankommt, weiß die derzeitige Regierung in Wien ganz gewiss. Der fragwürdige Termin für die Verkündigung der Maßnahmen gegen Moscheen und Imame letzten Freitag – Ramadan und Auslandswahl der Türken – aus Unwissenheit oder mit Absicht (siehe oben), ist eine andere Geschichte.

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