Es gibt auch rührende Augenblicke in der österreichischen Innenpolitik. Ein solcher Moment war am Mittwoch die Pressekonferenz der Klubobmann der Regierungsparteien, Andreas Schieder (SPÖ) und Reinhold Lopatka (ÖVP) zur Wahlrechtsreform.
Die beiden waren sich einmal einig, weshalb dieses Mal nicht von einem „Bruderzwist“ gesprochen werden kann - wie in Franz Grillparzers Drama. Aber diese eine Passage daraus beweist, dass sich seit Habsburgs Zeiten doch nicht viel geändert hat:
„Das ist der Fluch von unserm edeln Haus;
Auf halben Wegen und zur halben Tat
Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.“
Das ist auch seit 1986 der Fluch der rot-schwarzen Koalitionen. Oder es liegt noch immer in unserer politischen DNA, auch wenn seit Habsburgs Zeiten schon fast 100 Jahre vergangen sind. Weder kann von einem „neuen“ Wahlrecht, noch von einer Reform die Rede sein. Höchstens von einem halbherzigen Vorhaben in einem kurzen Moment des koalitionären Aktionismus.
Es kommt also ein zusätzlicher Wahltag vor dem eigentlichen Urnengang, weil’s so schön war in der Steiermark. In jeder Gemeinde muss mindestens ein Wahllokal an diesem Tag geöffnet sein. Das bedeutet zwar mehr Bürokratie und wahrscheinlich weniger Beisitzer, aber es kann die Wahlbeteiligung erhöhen. Das ist grundsätzlich schon ein gutes Vorhaben.
Da wird es auch bessere Kuverts für die Briefwahl geben – ein wahrer Durchbruch an Reform! Und erst die Rückabwicklung des Spruchs des Verfassungsgerichtshofs aus Anlass der Anfechtung der Bundespräsidentenwahl! Die Höchstrichter hatten Fotografieren der Politiker in den Wahllokalen für gesetzwidrig erklärt. Fotografen und TV-Teams dürfen also wieder hinein, die Kandidaten können wieder – mit oder ohne Kinder – in die Kamera lächeln. Eine revolutionäre Neuerung, von der sich SPÖ und ÖVP offenbar zusätzliche Stimmen erhoffen.
A pros pos Kinder: Deren Anwesenheit überhaupt bedarf neuer Regeln. Man sieht, die beiden Klubobmänner kümmern sich um alles. Warum die Wahllokale bisher nicht barrierefrei waren? Das hat wahrscheinlich was mit „halben Weg“ zu tun. In anderen modernen Staaten muss über Barrierefreiheit für Behinderte gar nicht mehr diskutiert werden. Sie ist eine Selbstverständlichkeit.
Die wirklich interessanten Teile, die eigentlich in einer Wahlrechtsreform enthalten sein sollten, werden erst in einer Enquete diskutiert werden. Wie die Staatsreform beim Österreich Konvent 2005? Sie verstaubt seither in irgendwelchen Schubladen.
Und dann will Lopatka auch noch über E-Voting reden. Das hat schon bei den Hochschülerschaftswahlen vor einigen Jahren nicht funktioniert. Aber reden kann man ja darüber auch in einem Land, in dem nicht einmal Papierkuverts missbrauchsicher hergestellt werden konnten. Und über eine Frauenquote im Parlament will man auch noch diskutieren.
So sieht eine Reform in der Republik der Flickschuster aus: Ausbessern von ausgelatschten Bestimmungen, die vielleicht einmal ihre Berechtigung hatten, aber nicht mehr zeitgemäß sind. Ein Flecken da, eine neue Naht dort – und das Ganze als neuwertig verkaufen. Die Zunft der Flickschuster möge den Vergleich verzeihen.
Mehr ist auch nicht bei der Neuordnung der Kompetenzen des Bundespräsidenten, obwohl man hier in zwei Punkten schon die rot-schwarze Absicht merkt und aufs Äußerste verstimmt sein sollte.
Der Plan, dem Bundespräsidenten das Recht zu entziehen, auf Antrag der Bundesregierung den Nationalrat auflösen zu können, ist offenkundig der Lohn der Angst der rot-schwarzen Truppe vor einer FPÖ-Staatsspitze diesseits und jenseits des Wiener Ballhausplatzes mit Bundeskanzleramt und Hofburg. Der Schreck ihres Wahldesasters im April 2016 muss tief sitzen. Wenn man sich nicht einmal mehr darauf verlassen kann, dass der Kandidat einer der beiden Parteien reüssiert, dann muss vorgesorgt werden.
Denn gewiss ist nichts mehr. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere in der ÖVP an die Worte Heinz Fischers bei den Koalitionsverhandlungen in den neunziger Jahren: SPÖ und ÖVP werden immer eine Zwei-Drittel-Mehrheit haben. Von wegen! Jetzt ist nicht einmal mehr gewiss, dass sie zusammen die absolute Mehrheit bei der nächsten Wahl bekommen.
Da muss man dann schon vorbauen.
Der zweite Punkt mit sehr strengem parteipolitischen Geruch ist die Streichung des Ernennungsrechts für Spitzenbeamte. Parteipolitische Besetzungen, das muss doch auch in Hinkunft möglich sein! Es könnte ja einmal jemand in die Hofburg einziehen und Qualität vor Parteipolitik reihen.
Spannend wird, wie sich die Oppositionsparteien dazu verhalten werden, womit sie sich die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit abgelten lassen.
Spannend wird auch die Frage, ob eine Änderung der Kompetenzen des Bundespräsidenten nicht doch als Gesamtänderung der Verfassung anzusehen ist – und damit zwingend einer Volksabstimmung bedarf.
Anzunehmen ist aber vorläufig, dass das rot-schwarze parlamentarische Flickschuster-Duo so kleine Flecken zur Reparatur des Demokratie-Schuhwerks verwendet hat, dass es der Bevölkerung nicht zeigen müssen.
Sollte es sich nicht, wie angenommen, um reinen Aktionismus handeln, dann steckt hinter der Präsentation einer halbherzigen Sache auf halben Weg und mit weniger als halben Mitteln wahrscheinlich parteipolitische Panik.
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