Rücktritt aus moralischen Gründen? Ein unmoralisches Ansinnen!

Der ehemalige Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ in Österreich, Matthäus Kattinger, flehte unlängst auf nzz.at im Zusammenhang mit dem ganzen Hypo-Desaster geradezu verzweifelt: „Wenn wenigstens einer aus moralischen Gründen zurück getreten wäre.“ Nun der Mann ist Schweizer. Er versteht vielleicht auch als Wirtschaftsjournalist die österreichische Wirklichkeit noch immer nicht. Ist ja auch schwer.

Aber dem Mann kann geholfen werden. Bringen wir also Moral ins Spiel. Nach der gängigen Definition versteht man darunter „die Handlungsmuster, Regeln und Prinzipien” einer bestimmten Gesellschaft. Zieht man für sie ganz enge Grenzen, nämlich jene Österreichs, dann ist klar: Unsere Handlungsmuster, entwickelt seit 1945, sehen Rücktritte in der Politik als Konsequenz fehlerhaften Verhaltens einfach nicht vor. Handlungsmuster zur Übernahme politischer Verantwortung existieren einfach nicht.  Auch diesbezügliche Regeln gelten nur bei Verlust der Unterstützung durch die eigene Partei. Selbst der Säulenheilige der zurückgetretenen Politiker, ÖVP-Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic, hat 1969 aufgegeben, weil ihn seine Partei bei der Einführung eines 13.Schuljahrs im Stich gelassen hatte. Oder SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina 1995, weil er die Unterstützung der SPÖ-Gewerkschafter verloren hatte.

Aktuell hätten also aus Schweizer Sicht eine Reihe von Politikern und Verantwortlichen in staatsnahen Bereichen wie Nationalbank, Finanzmarktaufsicht etc. Anlass aus „moralischen Gründen“ zurück zu treten. Aus österreichischer Sicht, ist das aber ein geradezu unmoralisches Ansinnen. Denn unsere Handlungsmuster, Regeln und Prinzipien sind auf das Gegenteil ausgerichtet. Alle, die am Hypo-Desaster irgendwie beteiligt waren und jetzt davon nichts mehr wissen wollen, handeln also austriakisch regelkonform.

Wäre es anders, hätte nach dem Bericht der Griss-Kommission schon und jetzt nach dem vernichtenden Urteil des Rechnungshofs der Gouverneur der Nationalbank, Ewald Nowotny, den Hut nehmen müssen. Und Kurt Pribil, der in den entscheidenden Jahren für die Finanzmarktaufsicht verantwortlich war, deren Versagen jetzt auch dokumentiert ist. Jetzt müsste er die Chefetage der Nationalbank verlassen, wohin er 2013 – als Dank für das Versagen bei der Hypo? – befördert worden war. Das ist die österreichische Realität, Herr Schweizer Kollege. Vom Chef des Aufsichtsrats der Nationalbank ab 2008, Claus Raidl, irgendeine Konsequenz aus dem nunmehr verbrieften Versagen seiner Institution zu verlangen, wäre wirklich zu viel. Wo kämen wir denn da hin? Es demissioniert ja nicht einmal ÖIAG-Chef Rudolf Kemler, auf dessen Konto das gegenwärtige Führungschaos im Paradebetrieb OMV geht. Anderswo wäre das wohl undenkbar.

Aber zurück zur Hypo: Auch Klaus Liebscher, in den entscheidenden Explosionsjahren der Kärntner Landesbank bis 2008 Gouverneur der Nationalbank und gleich danach ab November 2008 Vorstandsvorsitzender der Fimbag, der Finanzbeteiligungs AG (Aufsichtsratchef Hannes Androsch), macht keine Anstalten. Die Aufgabe der Fibag wären eigentlich „Kompetenz, Kontrolle, Konsequenz“. Wie es damit aussah? Ein Blick in den RH-Bericht genügt.

Hätten wir in Österreich andere „Handlungsmuster“, dann müsste Maria Fekter als frühere ÖVP-Finanzministerin ihr Mandat im Nationalrat zurücklegen, ebenso die früheren Staatssekretäre im Finanzministerium Reinhold Lopatka (ÖVP-Klubchef) und Andreas Schieder (SPÖ-Fraktionsführer).

Moral seien „die guten Sitten und Wertvorstellungen einer Gesellschaft“, heißt es auch oft. Von wegen. Hätten wir andere „gute Sitten“ so wäre es problematisch, dass Peter Kaiser (Landesrat ab 2008) und Gabriele Schaunig-Kandutsch (Landesrätin bis 2008) trotz ihrer politischen Verantwortung in den Hypo-Talfahrtjahren heute an der Spitze der Kärntner Landesregierung stehen. Aber wir sehen das eben nicht so eng. Sonst müsste man auch den ehemaligen Vize-Landeshauptmann Reinhold Rohr (SPÖ) fragen, was er trotz seiner Mitwirkung bei der Hypo ab 2002, heute in der Funktion des Landtagspräsidenten noch verloren hat?

Ausgerechnet die unbedeutende niederösterreichische Landesrätin, Jörg Haiders Dame für Geldtransporte, Elisabeth Kaufmann-Bruckberger, lieferte dieses Wochenende die ultimative Rechtfertigung: „Die Geschehnisse...haben mit meiner jetzigen Funktion nichts zu tun.“ Das können Josef Pröll, Maria Fekter, Lopatka, Schieder und alle anderen ja auch irgendwie behaupten.

Wir sind eben ein situationselastisches Land. Dass Schweizer das nicht verstehen können, ist nun wirklich ihr Problem.

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