Deutschland scheint Österreich 20 Jahre nachzuhinken. Diesen Eindruck muss man jedenfalls gewinnen, wenn man drei Tage nach der Bundestagswahl in Deutschland dort die Ursachenforschung zum Einzug der rechtspopulistisch bis rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) liest. Man reibt sich die Augen.

Angela Merkel und die Medien seien am Aufstieg und Einzug in den Bundestag der AfD schuld. Das könnte man – per Zeitmaschine zurück in das Jahr 1997 – einfach mit Franz Vranitzky und die Medien sind schuld am Aufstieg Jörg Haiders und seiner rechtspopulistischen FPÖ mit ihren häufigen Anfällen akuter Vergangenheitssehnsucht. Damals wie heute war die Ausländerpolitik der amtierenden Regierung ein bestimmender Faktor. Es gibt da nur einen kleinen Unterschied: Österreichs Medien sahen damals die Hauptschuld bei dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Vranitzky und allen SPÖ-Politikern, die mit den Freiheitlichen als Koalitionspartner nichts zu tun haben wollten. Diese Schuldzuweisung gipfelte in dem Buch „Die Haider-Macher“ des Journalisten Hubertus Czernin. Allerdings fokussierte er seine Vorwürfe auf Politiker.

In Wahrheit aber wäre (uns) Medien damals der gleiche Vorwurf zu machen gewesen, wie er jetzt in Deutschland auftaucht. FDP-Chef Christian Lindner sprach aus, was damals in Österreich auch diskutiert worden ist – ohne Konsequenzen allerdings: Man solle nicht jede skandalöse Äußerung der AfD skandalisieren. Man setze Jörg Haider ein und kann den Satz vor mehr als 20 Jahren in Österreich wieder finden. Das gilt auch für die Aussage des Grün-Politikers Christian Ströbele: „Ich empfehle allen, nicht jeden Furz oder jeden Spruch, den ein AfDler loslässt, selbst wenn er schlimm ist, tagelang, wochenlang immer wieder zu drehen und zu kommentieren.“

Das bedeutet nichts anderes als: Die Deutschen haben es jetzt mit einem Dilemma zu tun, das Österreich in den neunziger Jahren bis zum Aufstieg der FPÖ auf den zweiten Platz 1999 beschäftigte. Einen Unterschied zu damals gibt es allerdings, der es den Deutschen leichter machen sollte, zu einem sinnvollen Umgang mit der AdF-Fraktion zu kommen: Jörg Haider bekleidete ab 1989 immer Funktionen, die per se größere Aufmerksamkeit verlangten: Landeshauptmann von Kärnten von 1989 bis 1991, dann Fraktionsführer im Nationalrat einer immer stärker werdenden Oppositionspartei, und schließlich wieder Landeshauptmann von Kärnten ab 2000 bis zu seinem tödlichen Unfall 2008. Das heißt: Rein formal hatte Haider Positionen inne, die ein Negieren seiner Aussagen staatspolitisch nicht zuließen.

In Österreich gelang es in den neunziger Jahren weder den anderen politischen Parteien noch den Journalisten – also auch mir nicht –, das Dilemma richtig zu bewältigen: Wann immer Haider in eine mediale Flaute geraten war, folgte eine der unerhörten Aussagen, mit denen er sich wieder die Aufmerksamkeit der politischen Nomenklatura und der Medien verschaffte; mit denen er wieder tagelang die Themen bestimmte. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre spielte der Flüchtlingsstrom nach dem Krieg in Jugoslawien (in einer geringeren Dimension) die gleiche Rolle für Haider und die FPÖ wie die Flüchtlingskrise 2015 für die AfD jetzt in Deutschland.

Die Methode von Rechtspopulist ist immer die gleiche – von Österreich der neunziger Jahre über den Wahlsieg Donald Trumps in den USA bis zum Aufstieg der AfD nun in Deutschland, um nur einige zu nennen: Mit unerhörten, rassistischen, antisemitischen Aussagen und/oder jeder Menge Vorurteile gegen einzelne Gruppen oder auch nur einzelne Personen wird Erregung und somit Aufmerksamkeit erzeugt, die einerseits den Eindruck von Stärke erweckt, andrerseits die Themen des Tages bestimmt. Die Medien spielen dabei die Rolle des nützlichen Idioten, können sich von ihr aber oft aus (vermeintlichen) Konkurrenzgründen nicht trennen.

Im Zeitalter des Internets, der sozialen Medien ist das noch weniger möglich als in der vor-digitalen Zeit der neunziger Jahre. Dort wo (auch wirtschaftlich) nur Klicks zählen, wird die politische Agenda dadurch bestimmt.

In einer Schmalspurvariante hat Österreich dies auch 2013 mit der Kandidatur des Austro-Kanadiers Frank Stronach erlebt: Auf die Frage, warum dessen krausen Ideen so viel Platz in den klassischen Medien gewidmet werde, lautete die Antwort eines verantwortlichen Journalisten: Weil er ungeheuer viel Klicks generiert. Wie die Sache ausgegangen ist, weiß man: Stronach hat den Einzug in den Nationalrat geschafft, sein Mandat ziemlich bald zurückgegeben – die Truppe hat sich jetzt aufgelöst.

Dieser Herbst in Deutschland und jene 12 Prozent für die AfD könnten ein Anstoß zur Selbstreflexion in den Medien sein: Wie ist eine ordentliche Berichterstattung zwischen Erregung und unzulässiger Nichtbeachtung zu organisieren? Wie ist der Informationspflicht nachzukommen ohne sich der Beihilfe zur ungerechtfertigten Bedeutung schuldig zu machen? Wie ist der schmale Grad zwischen aufblasen und abwerten zu bewältigen?

Die Antwort auf diese Fragen hätte das Wahlergebnis in den USA beeinflussen können, wird Deutschland beschäftigen und ist in Österreich nach wie vor noch nicht zufriedenstellend ausformuliert.

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