Zwei Präsidenten, zwei Angelobungen, kein Vergleich, eine Lektion. Die Amtseinführungen letzten Freitag in Washington und Donnerstag in Wien sind nicht eine Sekunde lang zu vergleichen – nicht vom Umfeld her (mächtigster Staat des Westens, kleiner neutraler Staat zwischen Ost und West), nicht von den Protagonisten oder den Reden her: Donald Trumps Wut-Ausbruch auf den Stufen des US-Capitols, Alexander Van der Bellens Zuversichts-Rede im alten Reichsratsaal.

Wenn deutsche Medien Van der Bellen nun einen Anti-Trump in der Wiener Hofburg nennen, so ist das wohl eine gequälter Vergleich: Trump gab sich bei seiner Antrittsrede kraftstrotzend und voll Hass, Van der Bellen plaudernd und versöhnlich, aber weder vom Amt, noch von den Möglichkeiten her ist eine Analogie angebracht. In Washington applaudierten auch die Verlierer dem neuen Präsidenten, unter welcher Kraftanstrengung an Selbstdisziplin immer. In Wien hatte die FPÖ-Fraktion nicht einmal Anstand genug, nach der Gelöbnisformel Van der Bellen Beifall zu klatschen. Später bei der Rede spärlich, wann immer es um das schöne Österreich ging. Also sollte man das verkrampfte Parallelen-Ziehen lieber gleich bleiben lassen.

Nur einen Aspekt haben beide politischen Ereignisse doch gemeinsam: Sie sind das Ergebnis der Mobilisierung der Basis – da wie dort. Das Wort „Bewegung“ fiel da – vor allem nach dem ersten Wahlsieg Van der Bellens im Mai – wie dort auffallend häufig. Dass der deutsche Begriff historisch belastet ist, spielt keine Rolle mehr. In den USA hat Grassroot-Politik, also das Engagement der Wähler und ihre Mitarbeit in Wahlkämpfen, eine starke Tradition, in Österreich weniger. Aber bei beiden Wahlen war die Mobilisierung der Basis ausschlaggebend.

Für Österreich könnte man nach dem viel deutlicheren Dezember-Wahl-Sieg Van der Bellens sagen: So geht Basis-Arbeit! Seinem Team ist das gelungen, was das Team um Trumps Gegnerin, Hillary Clinton, für überflüssig erachtet oder einfach übersehen hat: Breite Schichten und sonst politisch abstinente Bevölkerungskreise für die Sache und gegen den anderen Kandidaten zu mobilisieren. Van der Bellen hat seinen Sieg auch Norbert Hofer zu verdanken. Gegen einen anderen Kandidaten oder eine andere Kandidatin wäre er so vielleicht nicht zu erreichen gewesen, jedenfalls nicht so deutlich ausgefallen. Für Clinton hätte diese Anti-Motivation gepaart mit einer stärkeren Beachtung des Wahlmänner-Systems der USA für einen Sieg ausreichen können.

Hofer zu verhindern, war ein starkes Motiv für junge Menschen, für den Ex-Chef der Grünen auf der Strasse Werbung zu machen. Hofer zu verhindern, war für den Professor Grund genug, vor der zweiten Stichwahl doch auf Volksfeste und unter die Leute zu gehen. Hofer zu verhindern, war für 163 Bürgermeister Motiv genug, um in ihren Gemeinden für Van der Bellen zu werben. Es ist „Basisarbeit“, den Leuten ins Gewissen zu reden und sie zu überzeugen versucht. Dass da mehr mit Angst (Wie wird eine Hofer-Wahl sich auf den Fremdenverkehr in der eigenen Gemeinde auswirken? Wollen wir wirklich wieder als Nazi-Land dastehen?) operiert wurde als mit positiven Argumenten, ist gängige Politikpraxis. Und sie hat im Fall von Van der Bellen funktioniert: Eben weil sie nicht nur „von oben“ kam, sondern „unten“ stattfand. Es ist Basisarbeit, den Leuten zu zeigen, dass einem etwas wichtig genug ist, Zeit zu opfern. Vor allem in Österreich, wo dies keine wirkliche Tradition hat und auch (noch) nicht so üblich ist.

Mitunter hat man jetzt den Eindruck als verherrlichten Politiker wie Medien die Auswirkung und den Einfluss der sozialen Medien, als hätte Trump nur wegen seiner Twitter-Orgien gewonnen und wären Wahlsiege ohne Facebook etc. gar nicht mehr zu erreichen. Doch die sozialen Medien allein ohne die Basisarbeit machen noch keine Wahl. Sie sorgen vielleicht für Reichweiten, aber sie ersparen den Mitstreitern nicht die Mühe der Basiskontakte.

Den über 300.000 Wähler, die Van der Bellen im Dezember ihre Stimme gegeben haben, ist es wahrscheinlich egal, ob Van der Bellen am Donnerstag eine tiefschürfende Grundsatzrede gehalten oder über seine Angst vor dem Sprungbrett und anderes dahin geplaudert hat. Sie gaben ihm ihre Stimme, weil ein Schneeballsystem der Motivation sie an den Punkt gebracht hat, ihn für die bessere Wahl zu halten.

Seit Donnerstag kann er beweisen, dass sie sich nicht geirrt haben.

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Gerhard Novak

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